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Florian Lieb
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That’s it. That’s the cinema. That’s film!

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Anm. d. Verf.: Dieser Text enthält Spoiler.
Der erste gesprochene Satz aus Srpski film könnte treffender nicht sein. “Baby, I’m gonna fuck you up“, verspricht Hauptfigur Miloš (Srđjan Todorović) in einem Film im Film seinem Gegenüber und zugleich dem Publikum. Ohne Frage ist Srpski film, das Debüt des serbischen Regisseurs Srđan Spasojević, ein kontroverser Film. Ein Film, der „viel und heftig diskutiert“ wurde [1]. Seinem Status als Skandalfilm wird er damit gerecht, ist er doch für viele, die allein von seinem Inhalt gehört haben, „ein Aufsehen erregendes Ärgernis“[2]. Spasojević präsentiert uns einen Avantgardefilm über einen Avantgardefilm. “Not pornography, but life itself“, heißt es in Srpski film fast als Selbstbeschreibung.

Zu sehen kriegt das allerdings kaum jemand. In Ländern wie Norwegen ist der Skandalstreifen verboten, in Deutschland und Großbritannien mal mehr (16 Minuten) und mal weniger (4 Minuten) geschnitten. Aus Gründen, die sich inzwischen in allen Internetforen finden: In Srpski film werden Neugeborene vergewaltigt, Frauen zu Tode gefickt und Inzest getrieben. Jedem normalen Bürger dürfte es allein bei dieser knappen Beschreibung wie Miloš entfahren: “ I can see that you’re insane, I need no proof for that“. Das Lexikon definiert einen Skandal als Wissen, „worüber sich eine Gesellschaft empört“, weshalb sich an ihm ablesen lässt, „wo und wie die überschrittenen Grenzen liegen“[3].

Das Etikett „Skandalfilm“ ist infolgedessen ein oft fälschlicherweise negativ Behaftetes. Skandalös ist immer etwas, dass in der Gesellschaft als unmoralisch erscheint. Wenn die christliche Erlöserfigur in Nikos Kazantzakis’ The Last Temptation of Christ die Liebe zu Maria Magdalena dem Märtyrertod vorzieht oder ihre Passion in Mel Gibsons The Passion of the Christ zum torture pornübersteigert wird, ist das für uns anstößig. Es ziemt sich nicht. Aus demselben Grund wurde Falco 1985 bei der Veröffentlichung von Jeanny vorgeworfen, Vergewaltigung zu verharmlosen. Doch Tabus sind da, um gebrochen zu werden. “Cuz we need a little controversy“, besang Eminem im Jahr 2002 in Without Me.

„Ist das nicht irgendwie verboten?
Wird man dafür nicht bestraft?
Was ist das bloß für eine Welt in der man solche Sachen darf?
Dürfen die das?“
(Die Ärzte, Meine Freunde, 1998)

Durch das gefährliche Halbwissen, das Spasojevićs Film vorausgeht, wird dieser bereits abgeurteilt, ehe sich selbst ein Bild über seinen Inhalt machen lässt. Die Internetseite Schnittberichte „verspricht“ einen Film, „der niemanden kalt lassen wird“[4]. Und nicht nur das, es werden Gefühle assoziiert, die sich durch die Sichtung beim Zuschauer einstellen sollen: „sei es nun Schock, Ekel oder Fassungslosigkeit“[5]. Was dazu führt, dass Menschen von Srpski film denken, „er sei sehr viel härter als er tatsächlich ist“[6]. Wie hart Spasojevićs Debütwerk ist, muss jeder für sich selbst entscheiden. Denn die Wahrheit ist: Srpski film ist letztlich nur so hart, so krank, so pervers, wie man dem Film zugesteht zu sein.

An sich ist Srpski film eine herzhafte Komödie und dies sicherlich teils kalkuliert. Die oft übersaturierten Bilder von Spasojevićs Red One Kamera erwecken dank der gesprochenen Dialoge die Atmosphäre eines Kabel-1-Softpornos. So werden Vater-Sohn-Gespräche über die sich anbahnende Pubertät oder Nebenbemerkungen über Animal Porn schnell der Lächerlichkeit preisgegeben. Und in der Tat gibt sich Srpski film, einer der kontroversesten Filme aller Zeiten, in seinen ersten beiden Akten ganz und gar handzahm. Absurderweise ist man enttäuscht. Wo ist die Gewalt? Wo ist der Skandal? Was Spasojevićs Film in seiner ersten Stunde auslöst, ist nicht so sehr Ekel, wie Trashbedingtes Amüsement.

Srđjan Todorović gibt Miloš, einen ehemaligen Porno-Darsteller, bekannt als “The Filthy Stud“. Der Branche kehrte er den Rücken zu, der Lebenspartnerin Marija (Jelena Gavrilović), sowie dem gemeinsamen Sohn zuliebe. Wie Miloš inzwischen sein Geld verdient, ist unklar. Viel ist es nicht und wird in leeren VHS-Hüllen seiner Pornos versteckt. Die sind in der Familienwohnung ebenso omnipräsent wie Miloš’ Flasche Jack Daniels. Egal ob Wohn- oder Schlafzimmer, weder der Whiskey noch ein Porno des Filthy Stud lassen lange auf sich warten. Nicht gerade das dolce vita, weshalb Miloš auch durch die Bestärkung von Marija schließlich dem unmoralischen Angebot von Ex-Kollegin Lejla (Katarina Žutić) erliegt.

Diese fungiert als Mittelsfrau für den mysteriösen Filmproduzent Vukmir (Sergej Trifunović), ehemaliger Kinderpsychologe und Regierungsangestellter. Er bietet Miloš viel Geld, wenn dieser sich drei Tage lang als Darsteller zur Verfügung stellt. Per Mikrofon erhält er grobe Kommandos in leerstehenden Waisenhäusern, wo Mädchen und Frauen geschlagen werden und er Blowjobs erhält. Nach zwei Tagen wird es dem Filthy Stud zu schmutzig. Die Unkenntnis des Drehbuchs löst bei ihm Unbehagen und bei Vukmir Erheiterung aus (“You’re a porn actor who wants to know what a porn film is about? It’s a bit absurd“). Doch Miloš’ geplanter Ausstieg kommt zu spät und der eigentliche Film beginnt an diesem Punk.

Wo die ersten Akte trashige Unterhaltung darstellen, avanciert der dritte Akt zur eigentlich den Skandal auslösenden tour de force. Vukmir zeigt Miloš einen seiner „Filme“: Einer von Vukmirs Angestellten bringt ein Kind zur Welt, welches er danach, zum Wohlgefallen der Mutter, vergewaltigt. So zumindest suggerieren es Spasojevićs Bilder, die – und das gilt auch weitestgehend für den restlichen Film – auf eine grafische Darstellung der Gewalt- und Sexakte verzichten. Nicht einmal Vaginalaufnahmen in Miloš’ Pornos gibt es zu entdecken, stattdessen deutet der Serbe die meisten Gräueltaten lediglich an. „Es ist nur in deinem Kopf“ ist ein treffendes Motto für viele dramatische und skandalöse Szenen des Films [7].

Und dennoch, trotz all dem Blut, das nach einer Stunde in Srpski film fließt, verliert der Film doch nie seine subversive humoristische Note. Die Gewalt ist so überzeichnet, so Splatter-haft inszeniert, dass es schwer fällt, in all diese übersteigerte Fiktion irgendwelche realen Moralansprüche hineintragen zu wollen. Betreibt Miloš bei einem Opfer Nekrophilie, nachdem er ihr während des Sexualaktes den Kopf mit einer Machete abgetrennt hat, wird das Szenario durch die freudig-zufriedenen Blicke von Vukmir und seinen Kameramännern kontrastiert. Gerade in dieser Szene erreicht Spasojevićs Mise en abyme ihre Klimax, hält er seinem Publikum doch speziell hier den moralischen Spiegel vor.

In fast schon haneke’scher Lesart könnte man sagen, dass Vukmir seinen Film letztlich im Auftrag der Zuschauer von Srpski film inszeniert. Vukmirs lüsterner Blick und seine Gewaltpräparationen repräsentieren am Ende das Publikum, das sich im Laufe des letzten Jahrzehnts verstärkt dem torture porn zugewandt hat (viel genannte Beispiele sind Filme wie Hostel, Á l'intérieur oder Martyrs). Wenn Miloš folglich verstört in die aufgestellten Kameras blickt, blickt er im Grunde nicht nur Vukmir und Co., sondern in letzter Konsequenz auch Spasojević und das Publikum von Srpski film an. Zugleich versucht der Regisseur jedoch auch fraglos, einen sozio-politischen Kommentar zu Serbien abzugeben.

Nach zwei Identitätsumbrüchen – zuletzt Serbien und Montenegro, davor Jugoslawien – in Folge des Kosovokrieges, stellt Serbien für Spasojević ein Land am Abgrund dar. Speziell der Dialog vor der Kindesvergewaltigung macht dies überdeutlich. “The whole fucking country is one big shitty kindergarten”, erklärt Vukmir. “A bunch of kids discarded by their parents.” Die Elternrolle erfüllt hier Vater Staat, der seine Kinder ebenso im Stich ließ, wie es die Mutter in Vukmirs Kinderporno tut. Die bildhafte Lesart eines von Geburt – hier sprichwörtlich – gefickten Serb(i)en. “We are a victim”, sagt Vukmir.“This whole nation is a victim.” Und weiter: “Victim sells (…) victim is the priciest sell in this world”.

Es zeigt sich, dass Srpski film weitaus bemühter ist, intelligent zu sein, als manch anderer Skandalfilm. Das Motiv des Kindesverführers zieht sich durch Spasojevićs gesamtes Debüt. Von Miloš’ Sohn, dessen Sexualtrieb durch die Sichtung eines Pornos des Vaters ausgelöst wird, bis hin zur Neugeborenenvergewaltigung (“newborn porn“, nennt Vukmir seine perverse Ausgeburt) und natürlich Jeca (Anđela Nenadović). Jeca ist ebenfalls eine Darstellerin in Vukmirs Snuff-Porno. Ein brünettes Mädchen im Alice-Outfit – ein verirrtes Wesen in einer perversen (hier als „verkehrt“ zu verstehen) Welt. Auch sie repräsentiert Serbien. Ein unschuldiges Wesen, das im Verlauf zu Miloš’ Opfer gemacht werden soll.

So sehen der Zuschauer und Miloš eine Aufzeichnung von Jeca, wie sie ein Eis leckt, während Miloš den Blowjob kriegt. Später legt sie in einer anderen Szene Miloš ihre Hand auf den Oberschenkel, von Spasojević aus der Ego-Perspektive gefilmt. Wie Miloš sieht der Zuschauer den newborn porn, ähnlich schockiert soll er im Filmfinale reagieren, wenn sich herausstellt, dass ein mit Drogen vollgepumpter Miloš zuerst Marija und dann seinen kleinen Sohn vergewaltigt. Vermeintliche Beschützer werden zu Tätern. Und damit in gewisser Weise auch zu Opfern. Eine großflächige Instrumentalisierung. Vom Staat auf Vukmir, von ihm auf Miloš. Ein Teufelskreis. Eine Botschaft, die in Deutschland allerdings verloren geht.

Die deutsche Version zensierte all diese Szenen von kinderpornographischem Inhalt. Kinderpornographie als Allegorie scheint nicht vereinbar mit der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft. Aber indem man Srpski film dieser Szenen (insbesondere im Finale) beraubt, beraubt man ihm seiner „Seele“. Und degradiert ihn zum stumpfen torture porn. Wenn sich in der finalen Klimax herausstellt, dass Miloš erst Partnerin dann Sohn vergewaltigt und sich sein Bruder Marko (Slobodan Beštić) daran beteiligt, ein Polizist und damit die personifizierte Symbiose von Staat und Familie, wird Vukmirs Mikro-Resümee (“A real, happy Serbian Family“) zum Makro-Urteil über (s)eine ganze Nation.

Vorzugeben, man wolle mit den Kinderpornographie kritisierenden Szenen nicht Kinderpornographie für Pädophile liefern, mag nach außen vertretbar sein, ohne dem wirklich gerecht zu werden. Denn Spasojević zeigt keine Kinderpornographie, sondern suggeriert diese. Oder um Benjamin Maack umzudeuten: „Nicht dem Film auf der Leinwand wurde der Prozess gemacht, sondern dem, der in den Köpfen der Zuschauer womöglich ablaufen könnte“[8]. Am Ende Srpski film in einer Version auf den deutschen Markt zu bringen, die dem Film, seinem Inhalt und seiner Botschaft nicht mehr gerecht wird, dient letztlich weder den Produzenten, noch den Konsumenten. Allenfalls dem Staat.

Großflächig diskutiert wird nur darüber, was für allgemeines Aufsehen sorgt. Oder wie der israelische Satiriker Ephraim Kishon formulierte: „Ohne öffentlichen Skandal ist Kunst heutzutage unverkäuflich“[9]. Für den Skandal zeichnen sich bei Srpski film die Kinderpornographischen Allegorien ebenso verantwortlich, wie die Gore-lastige Gewalt. Spasojević versteht es jedoch, beides entsprechend zu konterkarieren. Explizit kinderpornographisch ist keine Szene, der Rest eben reine Allegorie als Nationalkritik und der graphischen Gewalt wird durch ihre komikartige Umsetzung (einer von Vukmirs Helfern wird mittels eines erigierten Penis in die Orbita getötet) ein Großteil ihrer Schärfe genommen.

Oder anders gesagt: Srpski film wird heißer gekocht als gegessen. Sicherlich dürfte ein christlich-konservativ erzogener Mensch, der insbesondere dem Horrorfilm der letzten rund zehn Jahre ferngeblieben ist, weitaus schockierter und abgestoßener von Spasojevićs Werk sein. Für einen Cineasten steht Srpski film dagegen wohl in einer filmischen Tradition von Genrevertretern wie Pasolinis Salo o le 120 giornate di Sodoma oder dem Kino eines Gaspar Noé. Am Ende führt das weder zu Schund, noch zum Meisterwerk. Es ist ein redlicher Versuch, auf Missstände hinzuweisen und dies in künstlerischer Form. Getreu dem Maler Paul Klee: „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar“[10].

Indem Spasojević inszeniert wie er inszeniert, erschafft er (s)einen Skandal. Und mit diesem eine Aufmerksamkeit, die seinem Film wohl andernfalls nicht zuteil geworden wäre. Skandale zeigen, worüber sich eine Gesellschaft empört, wo ihre moralischen Grenzen liegen. Insofern hat Srpski film alles richtig gemacht. Was er zeigt, empört - und bestärkt die moralischen Grenzen. Letzteres in doppelter Hinsicht, durch seine allegorische Verpackung, wie deren Kommentarfunktion. In einer Filmlandschaft, wo jede x-beliebige Massenproduktion von der deutschen Film- und Medienbewertungsstelle das „Prädikat (besonders) wertvoll“ erhält [11], hätte dies wohl eher ein solches Werk wie Srpski film verdient.

Was bleibt ist ein cineastisches Enfant terrible, ein ausgemachter Skandalstreifen im positiven Sinne. In vielen Ländern zensiert, in manch anderen gleich ganz verboten. Zumindest so lange, bis sein wahrer Wert unter all den abschreckenden Bildern, die diesen kenntlich machen und transportieren sollen, irgendwann erkannt wird. Seinen ersten Dialogzeilen (“Baby, I’m gonna fuck you up“), versuchte Srpski film im Folgenden gerecht zu werden. Entgegen dem öffentlichen Bild ist das Resultat “not pornography, but life itself“, wie sich Spasojevićs Film in einer Szene selbst verteidigte. Somit treffen auf Srpski film durchaus auch Vukmirs finale Worte zu: “That’s it. That’s the cinema. That’s film!“.


Quellenangaben:

[1] http://de.wiktionary.org/wiki/kontrovers.
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Skandal.
[3] ebd.
[4] http://www.schnittberichte.com/schnittbericht.php?ID=43386.
[5] ebd.
[6] “(...) the absurd reactions of people that think it is a far harder film than it actually is”, http://www.aintitcool.com/node/47938.
[7] 13th Street Promo Trailer: http://www.youtube.com/watch?v=uLIuJPS-4h4.
[8] Benjamin Maack (2011): Skandalfilme. Chaos im Kinosaal, einestages, 18. Januar 2011, http://einestages.spiegel.de/static/topicalbumbackground/19901/chaos_im_kinosaal.html.
[9] http://www.morgenweb.de/service/archiv/artikel/729654887.html.
[10] http://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Klee.
[11] Teilweise bis zu sechs Filme pro Kinostartwoche, vgl. sechs von zehn Neustarts am 12. Mai 2011: „Senna“, „Löwenzahn – Das Kinoabenteuer“, „Utopia Ltd.“, „Polnische Ostern“ (alle „Prädikat wertvoll“), sowie „Geliebtes Leben“ und „Metropolis 27/10“ („Prädikat besonders wertvoll“).


Szenenbilder „Srpski film“ © Cinematic Vision.

Willkommen im Wegwerfwunderland

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„Wenn hier im Kühlhaus nur Véronique arbeiten würde, dann würden wir wohl gar nichts mehr rauswerfen“, grinst Arnaud, während sich hinter der Kamera Regisseur Valentin Thurn das Lachen nicht verkneifen kann. Arnaud ist zuständig für die Essensauslese der Pariser Tafel ANDES, die auf dem städtischen Großhandel stattfindet. Von allen dort weggeworfenen Lebensmitteln erhält ANDES nur einen kleinen Anteil. Nicht alle Lebensmittel, die weggeworfen werden, sind wirklich schlecht. In Wahrheit sind es die Wenigsten von ihnen. In den Industrienationen wird die Hälfte aller produzierten Nahrungsmittel vor ihrem Konsum bereits wieder entsorgt, weltweit ist es immer noch ein Drittel.

Allein in Deutschland landen jedes Jahr über 15 Millionen Tonnen Lebensmittel in der Mülltonne [1]. Abgefüllt wären das 500.000 LKW, die aneinandergereiht die Strecke Berlin-Peking ergeben würden [2]. „Laut einer Studie der Vereinten Nationen schmeißt jeder Deutsche im Schnitt 115 Kilogramm Nahrungsmittel pro Jahr in seine Mülltonne“, schrieb Marco Belser diese Woche in den Stuttgarter Nachrichten [3]. Ist das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten, landet ein Produkt oft im Müll. Das jährlich in Europa weggeworfene Essen würde zwei Mal ausreichen, um alle Hungernden der Welt zu ernähren [4]. Das erklärt uns jedenfalls aktuell Valentin Thurn in seinem Dokumentarfilm Taste the Waste.

Thurn dokumentiert die Verschwendung in ihren vollen Ausmaßen. Vom französischen Supermarkt, wo eine Woche vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums (MHD) alle Joghurte und ähnliche Produkte aussortiert werden, bis hin zur kamerunischen Bananenplantage, die das Land der umliegenden Kleinbauern usurpiert. Mit „Supermarkt“ ist bereits eines der entscheidenden Stichworte gefallen. In Deutschland entstand der erste Supermarkt 1949 in Osnabrück [5]. Anstatt beim Tante-Emma-Laden um die Ecke einzukaufen, griff nun das Selbstbedienungsprinzip. Für Umweltjournalist Stefan Kreutzberger „der erste wichtige Schritt hin zum Wegwerfwunderland“[6].

Und durch die Selbstbedienung wird gekauft, was dem Kunden gefällt. Hier kommen besonders äußere Ansprüche zum Tragen, nach denen sich der Handel richtet. Ist der Durchmesser des Apfels zu klein, kommt er für den Verkauf nicht in Frage. Ist die Tomate zu rot oder nicht rot genug, kommt sie für den Verkauf nicht in Frage. Jede zweite Kartoffel könne er nicht verkaufen, klagt der Landwirt Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf in Thurns Film. Der Handel wünscht kleine, symmetrische, identische Kartoffeln. Sind sie zu groß, können sie nicht verkauft werden. Dabei sind die Erdäpfel einwandfrei. Ein Wahnsinn, dessen bekanntester Vertreter – die gewöhnliche Gurke – es vor die Europäische Union geschafft hat.

Als die EU auch den Verkauf krummer Gurken durchsetzen wollte, da mit ihnen biologisch alles in Ordnung ist, wehrte sich der Handel. Gerade Gurken lassen sich einfacher verpacken, da sie besser in Kartons passen würden als ihre krummen Artgenossen. Ist eine Gurke folglich krumm, wird sie wie die zu kleinen Äpfel, die zu großen Kartoffeln und die zu hellen Tomaten weggeworfen. Unterdessen wird in Afrika gehungert. „Unser Konsumverhalten findet offenbar völlig entrückt von der Realität statt“, schrieb Johannes Schnös für die Süddeutsche Zeitung [7], während Oliver Jungen in der FAZ konstatierte: „Wenn eine Gesellschaft jeden Respekt vor Lebensmitteln verliert, dann läuft etwas grundfalsch“[8].

Die Worte gewinnen dann an erschütternder Bedeutung, werden sie den Bildern aus Taste the Waste gegenübergestellt. Eine ganze Ladung Orangen wird da auf dem Pariser Großhandel weggeworfen, weil einige der Früchte schon überreif sind. Auch Tomaten werden Palettenweise entsorgt, wenn sich in einer einzigen von ihnen ein verschimmeltes Exemplar findet. Véronique Abounà Ndong kann da nur den Kopf schütteln. Die gebürtige Kamerunerin wird täglich mit Nahrungsmittelimporten aus ihrer Heimat konfrontiert. „Meine Nachbarn in Kamerun, (...) die können sich noch nicht einmal ein kleines Paket Bananen leisten, so teuer sind die, und hier schmeißt man sie einfach weg“[9].

Im kamerunischen Nyombé wird auf Bananenplantagen ebenfalls der Umfang der Bananen gemessen. Aus Europa erhalten die Kameruner Vorgaben wie dick die Bananen seien müssen und wie viele mindestens an einer Staude zu hängen haben. Da die Nachfrage am Obst nicht abnimmt, werden Kleinbauern wie André Foka von der Expansion der Plantage betroffen. Für Bananen reicht es hier vielen Familien ebenso wenig wie für Fleisch. Nicht ein Mal im Jahr kriegt Fokas Familie Fleisch auf den Teller, da es schlicht zu teuer ist. Derweil sind in Frankreich und Co. jeden Tag die Container voll mit Wurst, die weit vor ihrem Verlaufsdatum steht. „Das tut mir sehr weh“, klagt Véronique Abounà Ndong [10].

Gut 30 Prozent der gekauften Lebensmittel landen im Müll, was letztlich auch 30 Prozent Anteil der Ernährung an den weltweiten Treibhausgasen ausmacht. Denn im vergammelnden Müll bildet sich Methan, das „mehr als 35 Prozent der von Menschen verursachten Methan-Emissionen“ ausmacht [11]. Würden wir halb so viel Nahrungsmittel wegwerfen, könnten wir „ebenso viele Klimagase sparen, wie wenn wir jedes zweite Auto stilllegen“[12]. Noch mal: Mit den – noch essbaren, wohlgemerkt – Nahrungsmitteln, die jährlich in Europa weggeworfen werden, ließe sich zwei Mal (!) jeder Hungernde stillen. Und würde das Essen nicht weggeworfen, gingen die Klimagase zugleich um einiges zurück.

Ihren Beitrag gegen das System leisten so genannte „Dumpster Diver“. Mülltaucher, die nachts die Container der Supermarktketten nach den noch essbaren Lebensmitteln durchforsten, die tagsüber weggeworfen wurden. Thurn beginnt Taste the Waste mit zweien solcher Mülltaucher in Wien, von denen der eine erklärt, er komme so zu 90 Prozent seiner Nahrungsmittel und müsse nur alle zwei Wochen für etwa 15 Euro einkaufen gehen. In Deutschland gibt es geschätzte 5.000 Mülltaucher, von denen manche durch ihre Geldeinsparungen sogar ihren Urlaub finanzieren [13]. Auch andere leisten ihren Beitrag, um effizienter mit der Lebensmittelverschwendung umzugehen.

So nutzt Jörn Franck in seiner Hamburger Biogasanlage die Methan-Emissionen des Lebensmittelmülls sinnvoll, wie auch Bäcker Roland Schüren aus seinem Abfall Energie gewinnt. Denn „eine Durchschnittsbäckerei wirft 10 bis 20 Prozent ihrer Tagesproduktion weg“[14]. Also bis zu jedes fünfte Brot wird abends weggeschmissen. Jährlich sind das in ganz Deutschland 500.000 Tonnen. Schüren wiederum nutzt nun das nicht verkaufte Brot, um damit die Öfen seiner Bäckerei zu heizen. Ähnlich wird in Japan mit den Speiseabfällen verfahren. Dort erklärt Restaurantleiter Koyamas Masahiro, wie Speisereste zu Tierfutter verarbeitet werden. Hama-Pork nennt sich das – ist jedoch hier in Europa verboten.

Die weggeworfenen Nahrungsmittel dürfen weder containert [15] werden – denn auch Müll ist Eigentum –, noch ist erlaubt, sie durch Erhitzung zu Tierfutter weiterzuverarbeiten. Stattdessen müssen zusätzlich Nahrungsmittel aufgewendet werden, um die Tierzucht unterhalten zu können. Also Extrafutter produziert werden, um Tiere zu mästen, deren Fleisch nach Schlachtung ohnehin zu 30-50 Prozent nicht konsumiert wird. Und das Supermarkt-System zieht noch andere Konsequenzen nach sich. Eine Entfremdung des Menschen von seiner Nahrung, von Thurn exemplifiziert an einigen Beispielen aus den Vereinigten Staaten, einem der Länder mit dem größten Nahrungsverschleiß der Welt.

Der Durchschnittsamerikaner nimmt rund 3.800 Kalorien pro Tag zu sich, was die USA zu den weltweiten Spitzenreitern macht [16]. Über 65 Prozent aller Amerikaner sind infolgedessen übergewichtig und haben speziell zu gesundem Essen keine wirkliche Beziehung mehr. Eine junge Mutter verrät in Taste the Waste auf einem Food Market, dass sie bis vor kurzem noch nie grünes Gemüse gegessen hätte. Annie Novak, die einen Stadtgarten in New York unterhält, berichtet in Thurns Dokumentarfilm sogar von Besuchern, die Tomaten für Äpfel hielten. „Viele Kinder haben keine klare Vorstellung, wo ihr Essen herkommt“, sagt Andrew Coté, der auf den Dächern New Yorks seine Imkerei betreibt [17].

Ein Aspekt den Thurn bedauerlicherweise sträflich vernachlässigt, ist die Zusammensetzung des Lebensmittelmülls. Denn Nahrungsmittel werden hier nicht kompostgerecht entsorgt, sondern mitsamt ihren Verpackungen von Holz bis Plastik gemeinsam in die Container geworfen. Wie viel Müll sich auch hier noch vermeiden ließe, hatte Lucy Walker dieses Jahr in ihrem thematisch nahestehenden Dokumentarfilm Waste Land aufgezeigt. So lassen sich fast 3 Prozent des Mülls von Rio de Janeiro noch recyclen. Angesichts des Verpackungswusts den Taste of Waste dokumentiert, dürfte hier die Fallzahl noch viel höher ausfallen. Kritische Stimmen bleiben bei Valentin Thurn aber aus.

Dennoch liefert sein Dokumentarfilm viele interessante und informative Daten plus Fakten, benennt Zusammenhänge wie Konsequenzen und bietet schließlich auch Alternativen oder Lösungsansätze an. Zum Beispiel, das Mindesthaltbarkeitsdatum nicht falsch zu interpretieren oder wie mit all den Speiseresten sinnvoll zu verfahren wäre (in Taste of Waste zumeist durch Tafel-Verköstigungen – sei es auf einem italienischen Platz oder in einer Berliner Schule – dargestellt). So ist Thurns Film vermutlich der bedeutendste Dokumentarbeitrag des Jahres geworden, den es gilt, sich zu Herzen zu nehmen. Oder um  Brecht umzudeuten: „Erst kommt das Fressen, dann die Moral“[18].




Quellenangaben:

[1] vgl. Flyer zum Film „Taste the Waste“.
[2] ebd.
[3] Marco Belser (2011): Abfall macht satt. Im Müll nach Essen tauchen. In: Stuttgarter Nachrichten, erschienen am 05.10.2011, http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.abfall-macht-satt-im-muell-nach-essen-tauchen.2d04cfe1-580b-47bb-a24a-c28b37dc595b.html (Stand: 07.10.2011).
[4] vgl. Flyer zum Film „Taste the Waste“.
[5] vgl. Stefan Kreutzberger und Valentin Thurn (2011): Die Essensvernichter. Warum die Hälfte aller Lebensmittel im Müll landet und wer dafür verantwortlich ist. Köln: Kiepenheuer & Witsch Verlag, S. 92.
[6] ebd.
[7] Johannes Schnös (2011): Die Spitze des Nahrungsberges. In: Süddeutsche Zeitung, erschienen am 09.09.2011, http://www.sueddeutsche.de/kultur/taste-the-waste-im-kino-die-spitze-des-nahrungsberges-1.1140926-2 (Stand: 08.10.2011).
[8] Oliver Jungen (2011): So produzieren wir den Hunger der Welt. In: Frankfurt Allgemein Zeitung, erschienen am 09.09.2011, http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/kreutzberger-und-thurn-die-essensvernichter-so-produzieren-wir-den-hunger-der-welt-11132427.html (Stand: 08.10.2011).
[9] Kreutzberger/Thurn, S. 118.
[10] ebd.
[11] ebd., S. 147.
[12] ebd., S. 148.
[13] vgl. Belser.
[14] Kreutzberger/Thurn, S. 13.
[15] Das heißt aus Müllcontainern entwendet werden, wie beim Dumpster Diving.
[16] vgl. Statistik der Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO), Jahrbuch 2010, Tabelle D.1, http://www.fao.org/economic/ess/ess-publications/ess-yearbook/ess-yearbook2010/yearbook2010-consumption/en/ (Stand: 09.10.2011).
[17] Kreutzberger/Thurn, S. 236.
[18] Bertolt Brecht (1928): Die Dreigroschenoper. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2004. S. 67.


Szenenbilder „Taste the Waste“ © W-Film.

Fights, Bites, and Videotape

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Durchtrainierter Körper, schmierige Haare, undeutliches Gebabbel. Es erklingt „Golden Brown“ von The Stranglers und Jason Statham verrät aus dem Off, dass ein zigeunerischer Bare-knuckle Box-Champion “harder than a coffin nail“ sei. Hört man hierzulande „Bare-knuckle Boxen“, dann denkt man vermutlich an Brad Pitt und Guy Ritchies Snatch. Die Pavee, die irischen Nomaden, sind amüsanterweise sehr stolz auf die Komödie, selbst wenn sie sich nicht als Zigeuner verstehen und der Film lediglich oberflächlich etwas mit ihrer Realität gemein hat. Aber immerhin stellt sie auf der Leinwand ein Hollywood-Star dar. Zeitgleich zu Snatch (2000) drehte auch Ian Palmer einen Film über Bare-knuckle Boxing - seine 12 Jahre überbrückende Dokumentation Knuckle.

Angefangen hatte alles mit der Videoaufzeichnung einer Hochzeit Ende der 1990er Jahre. Der Bräutigam war Michael Quinn McDonagh, während einige Straßen weiter seine beiden älteren Brüder James und Paddy dem Würfelspiel frönten. Nicht das einzige Laster der Quinn McDonaghs, wie sich herausstellt. James ist vielmehr der Bare-knuckle Champion der Familie und als solcher im Dauereinsatz. Weil sein Bruder Paddy Anfang der Neunziger ein Mitglied der Pavee-Familie Joyce nach einem Bar-Streit totgeschlagen hat, sitzen sich die beiden Clans seither an der Gurgel. Dabei sind sie nicht die einzigen: Egal ob Quinns, McDonaghs, Joyces, Nevins oder andere – der Hass sitzt tief und geht laut Manchen 20, Anderen zufolge sogar 50 Jahre zurück. Und er wird weiter vererbt.

Hass aus Tradition, der mittels Bare-knuckle Boxen ein Ventil erhält. “The families don’t like each other, it’s the safest way to sort things out“, bestätigt James Quinn McDonagh. Doch hierbei handelt es sich nicht nur um eine Fehde zwischen Familien, sondern um eine Familienfehde. Innerhalb der Pavee-Gemeinde sind viele Familien miteinander verwandt, so auch die McDonaghs und Joyces. “Brothers and cousins fighting brothers and cousins“, nennt Ian Palmer dies bei Aufnahmen aus dem Jahr 1999. Sieben Kämpfe wurden damals an einem Tag organisiert, darunter auch derjenige zwischen den beiden Cousins Michael Quinn McDonagh und Paul Joyce. Doch Blutverwandtschaft zählt in diesen Kämpfen nicht, nur der Name des jeweiligen Clans und somit dessen Ehre.

Two right men go out to fight, both want to finish it. 
A good fight lasts 20 minutes, the men should be broken up. 
Noses and mouths broke in, black eyes, maybe 15 or 16 stitches. 
That’s a fight. (Big Joe Joyce)
Zumindest lautet so die Idee, umgesetzt wird sie jedoch ganz anders. Zwar ist Bare-knuckle Boxen laut James McDonagh “the safest way to sort things out“, dennoch weiß auch er: “You could kill someone“. Hört man ihm so zu, scheint er eher widerwillig gegen die Joyces und Nevins anzutreten. “We are no saints“, meint er dann auch bezüglich seiner eigenen Sippschaft. Vielmehr noch: Palmer springt ein Mal zu einer Aufnahme aus 2009, in welcher James hinsichtlich der in Oxford und London beheimateten Joyces gar sagt: “They’re the nicest people in the world“. Versuchte Knuckle zwar zu Beginn, die Kämpfe als Form der Konfliktlösung zu propagieren, wird mit fortschreitender Filmdauer klar, dass das Boxen im Laufe der Zeit eine ganz andere Bedeutung bekommen hat.

In seinem ersten Kampf ging es für James ‘The Mighty’ Quinn McDonagh noch darum, den Zwist nach dem Tod von Brian Joyce zu schlichten. In seinem letzten Kampf sollte James dann gegen den Sohn jenes Mannes kämpfen, den er in seinem ersten Kampf besiegt hatte. “Bare knuckle fighting is about representing your family”, erzählt Ian Palmer [1]. In manchen Fällen mag dies stimmen, in anderen jedoch weniger. So prügeln sich zum Schluss des Films erneut Michael McDonagh und Paul Joyce. Ersterer hat durch sein Training einen gestählten Körper, Letzterer scheint dagegen weniger in Topform geblieben zu sein. Um die Ehre der Familie geht es in diesem reunion fight weniger, eher um Geld. Jeder Clan investiert in seinen Vertreter, im Falle von Michael und Paul sind es 60 000 Pfund.

Summen, die je nach Kampf und Kämpfer auch nach oben schnellen können. So gewann James McDonagh mit seinem letzten Sieg ein finanzielles Zubrot von 180 000 Pfund. Sicherlich mag es zahlreiche Mitglieder der Familie Joyce oder Nevin wurmen, wenn sich James für unbesiegbar hält. Noch reizvoller als ihn eines Besseren zu belehren sind jedoch wohl eher die schnell verdienten Riesensummen. Dementsprechend ist durch die gesamte Dokumentation hindurch auch kein Ende der Kämpfe in Sicht. Und gerade wenn Palmer ältere Pavee oder die Frauen der Familie vor die Kamera kriegt, zeigt sich, dass Bare-knuckle Boxen vielleicht nicht verkommerzialisiert, aber inzwischen zweckentfremdet wurde. “It’s proving nothing“, seufzt daher eine der Frauen.

Michael Quinn McDonagh versus Paul Joyce im Jahr 1997...
... und für ein Preisgeld von ₤60 000 ein Jahrzehnt später.
Zugleich scheint sie hin- und hergerissen. Ihre Mutter ist eine Nevin, wie ohnehin jeder irgendwo in seinem Stammbaum eine/n Nevin oder Joyce besitzt. “We’re all one“, zeigt sich das McDonagh-Mitglied unverständig. Kurz darauf berichtet uns Palmer, dass die Meinung der Frauen keine Rolle für die Männer spielte. “Each fight just seemed to lead in another“, stellt er nach einer Stunde Laufzeit langsam fest. Zwar spricht er James McDonagh in einer Szene bezüglich der finanziellen Vorzüge der Kämpfe an, dennoch konfrontiert der Regisseur die Beteiligten leider nicht mit dem von ihnen selbst vorangetriebenen Irrsinn. Denn den meisten Kämpfen geht eine Videobotschaft einer der Parteien voraus. “It’s what you say on the videos that makes the fights“, weiß einer der „Ringrichter“.

Absurde Ausmaße nimmt dies an, wenn sich Michael und Paul nach ihrem reunion fight darüber lautstark auslassen, wer nun eigentlich auf das Video von wem reagiert hat. Und jener Videoaffinität der Pavee hat es Palmer wohl auch zu verdanken, dass er den drei Familien über ein Jahrzehnt lang folgen durfte. Zwar kommen auch Big Joe Joyce oder Ditsy Nevin zu Wort, dennoch liegt der Fokus von Knuckle ganz klar auf den Quinn McDonaghs, speziell dem heroisierten James ‘The Mighty’. Begann er das Bare-knuckle Boxen, um die Fehde zu beenden und führte es primär fort, weil es gutes Geld einbrachte, geht es Big Joe dagegen darum, den Ruf des „King of the Travelers“ für sich zu beanspruchen. Einen lässt Palmers dabei erstaunlicherweise total außen vor: Paddy Quinn McDonagh.

Ihm ist die Familienfehde letztlich zu verdanken, war er es doch, der 1992 wegen Totschlags an Brian Joyce nach einem Streit ins Gefängnis musste und so den lange begrabenen Hass zwischen den Clans wieder zum Vorschein brachte. Eine Stellungnahme zu dem Vorfall liefert er Palmer jedoch nicht und scheinbar waren es auch seine Brüder, die um die Ehre seines Namens und den des Clans kämpfen mussten, anstatt er selbst. “I was completely hooked from day one”, erinnert sich Palmer. “Not hooked necessarily on making a documentary, but just ... seduced by this thing.”[2] So erklärt sich wohl, dass Knuckle keine sonderlich objektive Dokumentation geworden ist, die viele Dinge hinterfragt, sondern eher ein filmisches Dokument eines adoptierten „Familienmitgliedes“.

Michael Quinn McDonagh und sein Bruder James 'The Mighty'.
Und vermutlich hätte Palmer einfach unentwegt weiter gefilmt, hätte ihm James McDonagh nicht Ende des vergangenen Jahrzehnts ein Ultimatum gesetzt. Der Rückkampf zwischen Michael und Paul sollte der letzte Einblick sein, den Palmer erhalten würde. Für Michael ging es hier um die Ehre, hatte er den 97er Kampf doch verloren, weil er wegen unerlaubten Beißens disqualifiziert worden war. Paul dagegen lockte wohl das Geld, sowie die Tatsache, dass ein Joyce nicht vor der Videobotschaft eines Quinn McDonagh den Schwanz einziehen kann. Bezeichnend ist jedoch, dass sich dieser Kampf um alles dreht, außer den Tod von Brian Joyce. Was die Naht der Narbe zwischen den Familien wieder aufriss, spielt 15 Jahre später keine Rolle mehr. „Frieden“ scheint dennoch nicht möglich.

Gegen Ende der Dokumentation fängt Palmer einige der Quinn McDonagh Jungs ein, die im Hof ihres Viertels Schattenboxen betreiben. Man wird das Gefühl nicht los, dass sich zumindest einige von ihnen in zehn Jahren auf einer verlassenen Landstraße oder einer Baustelle wiederfinden. Gelockt von einem diffamierenden Video eines Joyce oder Nevin streben sie dann danach, ihren Clan zu repräsentieren und ihre Ehre hochzuhalten. Mit Paddy McDonagh und Brian Joyce wird dies nichts mehr zu tun haben, noch weniger mit Vorfällen, die ihren Ursprung Mitte des 20. Jahrhunderts finden. Vielleicht gehört das Bare-knuckle Boxen auch einfach zur Kultur der Pavee dazu. Und solange keiner der Cousins zu Schaden kommt, ist es vermutlich in der Tat “the safest way to sort things out“.



Quellenangabe:


[1] B. Alan Orange (2011): Exclusive: Ian Palmer and James Quinn McDonagh talk Knuckle. In: Movieweb, http://www.movieweb.com/news/exclusive-ian-palmer-and-james-quinn-mcdonagh-talk-knuckle.
[2] Kieran Mulveney (2011): Of Travelers, family feuds and bare knuckles … In: ESPN.com, http://sports.espn.go.com/sports/boxing/news/story?id=6054377.


Szenenbilder „Knuckle“ © Revolver Entertainment.

Love is smiling through all things

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Als in The Thin Red Line, Terrence Malicks Antikriegsfilm von 1998, der Bataillonsführer Captain Staros (Elias Koteas) den Befehl verweigert, seine Männer der Gefahr eines feindlichen Maschinengewehrs auszusetzen, kommt ihm sein Vorgesetzter, Colonel Tall (Nick Nolte), pragmatisch daher. “Nature’s cruel“, raunt Tall fernab von der Front darwinistisch in sein Funkgerät. Natur ist bei Malick Teil eines monistischen Weltbildes, in seinem jüngsten Film The Tree of Life von seiner himmlischen Mutter (Jessica Castain) dagegen dualistisch ausformuliert als “the way of nature and the way of grace“. Ein „entweder-oder“-Weltbild, mit welchem sich die Figuren des Films konfrontiert sehen.

Weitestgehend folgt Malick hierbei dem Dualismus von Emerson [1] und seiner eigenen Werksphilosophie. “You just got half-devil and half-angel in you“, verriet Linda (Linda Manz) dem Publikum bereits vor 30 Jahren in Days of Heaven. Der Zwiespalt zwischen Natur und Gnade ist ein Immerwährender in Malicks Oeuvre, unabhängig davon, ob ihn Private Witt (James Caviezel), John Smith (Colin Farrell) oder nun Jack O’Brien (Hunter McCracken) ausfechten. “Father. Mother. Always you wrestle inside me. Always you will“, resümiert Letzterer zum Filmende resigniert. Zwei Wege gäbe es im Leben, hatte die Mutter zu Beginn verkündet: “You have to choose which one you follow“. Natürlich sind es Beide.

Wieder einmal beschäftigt sich der verschlossene Texaner mit diesem ambivalenten Zwiespalt, versimplifiziert als Kampf von „Gut“ und „Böse“. So ähnlich sah man ihn 2005 bereits in Malicks Liebesgedicht The New World, als eine gnadenvolle Pocahontas (Q’Orianka Kilcher) auf den natürlichen Smith traf. In The Tree of Life begegnen wir ihnen in doppelter Hinsicht wieder. Auf der einen Seite die vollkommenen Figuren der Mutter und ihres Zweitältesten, R. L. (Laramie Eppler), und ihnen gegenüber die hin- und hergerissenen Mr. O’Brien (Brad Pitt) und Jack. “Brother. Mother. It was they that lead me to you”, lauten daher die ersten, von Jack geäußerten, Worte des Filmes bezüglich der Gnade.

Gerade im Verhältnis zum jüngeren Bruder spiegelt sich der Zwist der beiden Ideologien wieder. Der dritte O’Brien-Sohn, Steve (Tye Sheridan), spielt hier eher eine komplementäre Rolle, aber keine essentielle für das Verständnis von Malicks Botschaft. Zu jung scheint er, liegen Jack und R.L. doch mit zwei Jahren Unterschied näher beieinander. Immer wieder zeigt uns Malick daher Bilder, in denen Jack sich in Konkurrenz zum Jüngeren wiederfindet. Sei es in der kleinkindlichen Obhut der Mutter oder später, als sich R.L. künstlerisch talentierter zeigt als der Ältere. Es ist R.L., der mit seinem Gitarrenspiel den Vater und mittels Farbenmalerei später auch die Gunst der Mutter für sich zu gewinnen scheint.

Eine Sonderrolle, die sich auch in der ersten Drehbuchfassung zeigte, in der mehrfach die Sanftmut und Güte von R.L. hervorgehoben wurde [2]. So ist es auch R.L., der sich als Einziger traut, dem Vater am Tisch – ohnehin ein Martyrium für die Kinder [3]– Paroli zu bieten (“Be quiet. Please“). Als quasi „Heiliger“ der Familie ist er es, der zu Beginn des Films sterben muss. Die Gründe bleiben unklar, werden in der Kritik meist mit dem Soldatentod in Vietnam erklärt, offen gehalten werden sollte angesichts der biographischen Elemente aus Malicks Leben jedoch auch ein Suizid [4]. Ein Tod, der besonders das Leben der gläubigen Mutter (“Lord. Why? Were were you?“) aufrütteln wird, jedoch auch das Leben von Jack.

„Wie ein Stein in einen See fällt die Nachricht vom Tod“, wie Verena Luecken richtig bemerkte [5]. „Und wie die Wasserringe, die von dem Stein aus schließlich den ganzen See überziehen, erfasst diese Nachricht jeden Gedanken, jeden Glaubenssatz, jede Erinnerung.“[6] Sie ist es, die den Film lostritt und mit Theodizee-Fragen die ersten Minuten füllt. “Where were you?“, fragt auch ein junger Jack später, als einer seiner Freunde ertrinkt. “You let a boy die“, klagt er an und genauso gut könnte man den Vorwurf auf R.L. münzen. “He is in God’s hands now“, spendet ein Gottesmann der Mutter zu Beginn Trost. “He was in God’s hands the whole time“, reagiert diese wiederum ob der Antwort verständnislos.

Der Herr gibt und der Herr nimmt, so die hilflose Antwort der Großmutter (Fiona Shaw). Es folgt ihr unnützer Hinweis: “You have your memories (…) Life goes on“. Erinnerungen sind dann das, mit dem Malick seinen Film von Anfang an aufzudröseln beginnt - mit dem Anfang aller Dinge. Was folgt ist „wundersames, mitreißendes und bildgewaltiges Kino“[7], wenn Malick die Analogie zwischen Mikro und Makro zieht und die Entstehung allen Seins mit der Entstehung des Hauptprotagonisten in Einklang bringt. Vom Urknall über die Geburt unseres Sonnensystems bis hin zu Ein- und Mehrzellern. “The ancient Greeks called the world κοσμος, beauty”, schrieb Emerson [8]– und Malick hat verfilmt wieso.

Minutenlang fetischisieren die Bilder die physikalische Natur zu einem Kaleidoskop von Filmgemälden [9], ehe wir in einem Flussbett Dinosaurier und mit ihnen “the first act of compession” erleben [10]. Ein Ornithomimus-Saurier nähert sich einem verletzten Parasaurolophus, setzt den Fuß auf den Kopf des liegenden Artgenossen, wiederholt diese Bewegung und zieht von dannen. Was von Kritikern als Gnadensgeste zwischen Räuber und Beute ausgelegt wird, soll wohl primär eine Analogie zu einer späteren Szene zwischen Jack und R.L. repräsentieren [11]. Angetrieben von seinem Neid missbraucht der Ältere hier das Vertrauen des Jüngeren, der letztlich dem Manta der Mutter folgt und vergibt [12].

Sowohl Mutter wie R.L. verwirren Jack in ihrer anmutigen Demut. “Grace (…) accepts insults and injuries“, erläutert Chastains “saintly supermother“[13] zu Beginn. Später sehen wir, wie sie sich ihrem Mann unterwerfen muss (Jack:“You let him run all over you”) und wie Jack das Vertrauen des Bruders (“I trust you“) missbraucht und damit auch die Vorgaben der Mutter ignoriert. Und indem sie in den ersten Minuten verkündet “Nature (…) finds reasons to be unhappy, when all the world is shining around it“, nimmt dies ebenfalls das Innenleben von Jack (“What I want to do, I can’t do. I do what I hate”), insbesondere jedoch die vermeintliche Katharsis seines Vater zum Ende von The Tree of Life voraus.

In ihrem Strukturaufbau folgen die O’Briens dem Vergleich von Captain Bosche (George Clooney) aus The Thin Red Line: “Father’s the head [of the family], mother runs it“. Das Verhältnis der Familie zu Mr. O’Brien ist ein sichtlich Gestörtes, mehr noch so in der ersten Drehbuchfassung [14]. Seine bloße Anwesenheit führt zu Disziplin: aufrecht sitzen am Tisch, leise die Haustür schließen, das Eigentum der Nachbarn respektieren. Als er einige Tage verreist, ist es speziell Jack, der von seiner „Freiheit“ überwältigt scheint. Die Folge sind Vandalismus, Tierquälerei und Diebstahl, kulminierend im Gewaltakt gegenüber dem jüngeren Bruder. “I’m as bad as you are“, akzeptiert Jack zum Schluss. “I’m more like you than her.”

Wenn Thomas Assheuer bemerkt, dass die Kinder „von ihrem tyrannischen Vater drangsaliert, gequält und gedemütigt werden“[15], dann mag dies heute auf uns so wirken, für die Eisenhower-Ära war dies jedoch nichts Ungewöhnliches. Vielmehr gehört Mr. O'Brien zu jenen klassischen Figuren, die wollen, dass es ihren Kindern besser ergeht, als ihnen selbst. “Don’t do like I do“, rät ihnen der gescheiterte Musiker und erzieht seine Söhne für eine Ellbogengesellschaft. “It takes fierce will to get ahead in the world. If you’re good, they’ll take advantage of it. (…) If you want to succeed, you can’t be too good.” Gemäß dem Fall, R.L. stirbt den Soldatentod, erhalten die Worte des Vaters hier ein zynisches Echo.

Erst zum Schluss des Films gewinnt Pitts Figur an Einsicht, als er in eine andere Stadt versetzt wird. “I wanted to be loved ‘cos I was great. A big man. Now I’m nothing”, stellt Mr. O’Brien fest. “I dishonoured it all and didn’t notice the glory. A foolish man.” Eine Realisation, die an die Erkenntnis von John Smith erinnert (“I have become, as it were, a monster unto many”), und sich des Urteils der Gattin bezüglich der Natur gewahr wird. Dabei ist auch Mr. O’Brien nicht ohne Gnade, liebt seine Söhne, selbst wenn diese das durch die Strenge und Disziplin nicht zu bemerken scheinen. Küsse und Liebesbekundungen müssen befohlen werden, Zuneigung zwischen den Eltern sehen wir lediglich in einer Rückblende.

Eine Bindung der Kinder zu Pitts Figur ist somit kaum vorhanden, selbst wenn einzelne Szenen dies bisweilen suggerieren mögen. „Väter (…) sind Agenten feindlicher Welten, der Erwachsenenwelten“, schreibt Kerstin Decker [16]. Und in der Tat scheint die sinnliche Mutter näher an ihren Kindern zu sein. Weckt sie frech mit Eiswürfeln, wo der Vater grob die Decke wegzieht. Spielt mit ihnen und tollt, ist Fixpunkt und personifizierte Gnade. In einer Szene sehen wir sie in der Luft tanzend, in der nächsten liegt sie Schneewittchen-gleich in einem Glassarg im Wald. Fee und Prinzessin in einem – das Frauenideal schlechthin und Auslöser von Ödipuskomplexen bei den Söhnen Jack (“She only loves ME!“) und Steve [17].

Zugleich repräsentieren Mutter und Vater in The Tree of Life nicht nur Eltern, sondern neben Gnade und Natur auch das christliche Ideal von „Gott“. Doppeldeutig fragt Jack an einer Stelle “Why does he hurt us? Our Father”, während er seine Mutter bittet: “Mother. Make me good”. Lässt sich der strenge und strafende Mr. O’Brien mit dem alttestamentarischen Gott gleichsetzen, stellt Mrs. O’Brien den gütigen, vergebenden und liebenden Gott des Neuen Testaments dar. Gut wie Böse und doch eins als Schöpfer. “Who are you, who live in all these many forms?“, hinterfragte Private Train (John Dee Smith) in The Thin Red Line Gottes Wille im Voiceover – “almost a Malick cliché in itself”[18].

Besonders in seinen letzten drei Filmen kontrastierte Malick seine Protagonisten mit existentialistischen Fragestellungen. “This great evil. Where does it come from?“, will Train wissen und John Smith wiederum: “What voice is this that speaks within me? Guides me towards the best?”. Malicks Figuren sehen sich als Teil eines größeren Ganzen und dementsprechend einer Calvinistischen Prädestination ausgeliefert. “That’s where God lives“, sagt Mrs. O’Brien einmal und zeigt mit dem Finger gen Himmel. Dennoch fragt Jack später: “Where do you live?“. Für die Figuren ist Gott überall und nirgendwo. „Alles um uns, unter uns und vor uns“ ist bei Kerstin Decker dagegen „kosmische Gleichgültigkeit“[19].

Leicht lässt sich The Tree of Life daher als “Christian“[20] oder “neo-Christian“[21] lesen, für Christina Striewski gar als „reaktionäre[r] Bilderbuch-Baptismus“[22]. Die Frage ist jedoch, ob ein Film über Christen oder christliche Fragestellungen dadurch gleich ein christlicher Film ist? So folgt Malicks Schöpfungsgeschichte dem darwinistischen Weltbild, vom Urknall über die Einzeller bis hin zu den Dinosauriern – Gott betritt das Bild erst durch die menschlichen Figuren. Und auch hier spielt er nur eine Rolle, in der Beantwortung der existentiellen Fragen oder in Momenten des Verlusts. “Lord. Why? Where were you? Did you know? Who are we to you? Answer me“, klagt Mrs. O’Brien nach dem Tod von R.L. fast hiobsartig.

Es ist die von Nonnen erzogene Mutter, deren Glaube durch den Kindstod am meisten, wenn nicht gar ausschließlich, erschüttert wird. “Help each other. Love everyone“, gab sie ihren Söhnen mit auf den Weg – keiner ist ihr darin so gefolgt wie R.L. “Your mother’s naive“, urteilte der Vater arrogant. Schon vor dem Verlust des Zweitgeborenen wies ein Priester darauf hin, dass Unglück auch die Guten befallen kann: “We can’t protect our children“. Mit dem Tod des gütigen Sohns starb letztlich auch der Glaube an die Güte. “Never afterwards were you the same. Your faith in goodness shaken“, ließ Malick in der ersten Drehbuchfassung Jack bemerken [23]. “How did she bear it?“, heißt es dann im fertigen Film.

Alles kann in The Tree of Life als symbolisch aufgeladen betrachtet werden, ohne dass es dies muss. “My hope. My God. (…) My soul. My son“, sagt Mrs. O’Brien zu Beginn, später wird daraus: “Light of my life. I search for you. My hope. My son”[24]. Ein erwachsener Jack (Sean Penn) wiederum fragt in seinem sterilen Bürokomplex in malick’scher Tradition den Blick nach oben (“That’s where God lives!“) richtend: “How did I lose you?”. R.L. ist somit nicht nur Sohn und Bruder, sondern zugleich Emblem der Gnade und damit Hoffnung für die Figuren, die sie erblicken. “When did you first touch my heart?“, mag daher vielmehr eine Frage an die von der Mutter gelehrte, und von ihr mit Gott identifizierte, Gnade sein.

Die von Malick hierfür orchestrierte Erhabenheit und Größe wurde dann bereitwillig vom Feuilleton als „größenwahnsinnig“[25] oder „mythologischer Kitsch“[26] ausgelegt. „Ein Nebeneinander von Genie und Wahnsinn“, schrieb Susan Vahabzadeh [27]über Malicks Unterfangen, „eine Erklärung für das Geworfensein des Menschen zu finden“[28] in seinem “failed Garden of Eden“[29]. Weil der Texaner seine Geschichte „nicht erzählt, wie wir es gewohnt sind, sondern so, wie Erinnerung funktioniert: punktuell, unchronologisch, mit langen oder ganz kurzen Szenen aus verschiedenen Zeiten“[30], erhielten manche Kritiker den Eindruck, The Tree of Life sei ein „cineastischer Totalschaden“[31].

Christina Striewski sah in der christlichen Thematik gar Propaganda, da „der Zuschauer systematisch in eine Rezeptionshaltung gezwungen wird, die ihm seine eigene Nichtigkeit vor Augen führt“[32], und für Thomas Assheuer liegt der „Skandal des Films“ darin, dass die Natur „alles besser“ weiß [33]. Die Geister schieden sich an Malicks jüngstem Film, nicht zuletzt aufgrund der Schlussminuten. Das Ende der Welt sei hier getreu der Offenbarungsthesen [34] zu sehen, resultierend in einer christlich konnotierten Himmelsvorstellung. Dabei ist Malicks Kino nicht so sehr christlich motiviert – auch wenn es sich christlicher Motive bereitwillig bedient –, sondern vielmehr von metaphysischer Natur.

“Maybe all men got one big soul…who everybody’s a part of. All faces of the same man. One big self“, philosophierte Witt in The Thin Red Line. Weitergedacht entwickelt sich daraus ein hylozoistisches Weltbild, in welchem Malicks Gott eins mit der Natur, dem Kosmos und auch dem Menschen ist. Mit der Weltseele als „Sein des Seienden“[35], wohingegen Malicks spirituelle Figuren oftmals das Sein gleichsetzen mit Gott als Schöpfer und damit als Grenze des Erfassbaren [36]. “You, the great river, that never runs dry“, pries Pocahontas in The New World und Emerson sprach vom Fluss als Erinnerung an “the flux of all things”[37]. Für Naturphilosoph Thales galt Wasser daher auch als Urgrund allen Seins [38].

Wasser gehört deshalb wohl nicht von ungefähr zum festen Motiv-Repertoire des US-amerikanischen Regisseurs, sind doch die Elemente wie auch die Natur selbst „in gewisser Weise ein Charakter in allen Filmen Malicks“[39]. Im Wasser findet das Leben seinen Ursprung und bisweilen auch wieder sein Ende [40]. Bei all seinen tieferen Lesarten, sowie Bedeutungsschwangeren und doppel- oder dreifachdeutigen Szenen und Momenten ist The Tree of Life subsumiert doch ein primär biographischer Film und ein Familiendrama als Zeitkolorit. Angesiedelt in Malicks Heimatstadt Waco, Texas, verarbeitet der Regisseur Erinnerungen und letztlich sicher auch Emotionen seiner Kindheit als filmische Arabeske [41][42].

Somit untermauert Terrence Malick mit The Tree of Life seinen Ruf als „größter Visionär des Kinos seit Kubricks Tod“[43]. Unterstützt von klassischen Stücken der Herren Belioz, Preisner, Tavener und Co., sowie der intuitiven Kamera eines Emmanuel Lubezki, erneuert Malick “the beauty and power of the image as a carrier of meaning“[44]. Passend erachtet Ian Nathan daher den Film als “heaven-sent“ gegenüber “the brute attack of modern cinema“[45]. Gerade das heutige Kino verträgt mehr Philosoph(i)en, eine Rolle, die der “poet-philosopher“ Malick seit langem ausfüllt [46]. So ließe sich auch Pocahontas’ Analogie für John Rolfe (Christian Bale) auf Malick anwenden: “He is like a tree“a Tree of Life.



Quellenangabe:

[1] “Philosophically considered, the universe is composed of Nature and the Soul. (…) Therefore, all that is separate from us, (…) must be ranked under this name, NATURE”, vgl. Ralph Waldo Emerson: Nature (1836), in: Ders.: Nature and Other Essays, Mineola 2009, S. 1-33, hier S. 2.
[2] “[R.L.] is the gentlest of the boys (…) Jack suspects that he might be [his mother’s] favourite”, Terrence Malick: The Tree of Life, © Registered with the Writers Guild of America, 25. Juni 2007, http://www.mypdfscripts.com/screenplays/the-tree-of-life, S. 40. Siehe auch “[R.L.], so unlike the others, gentle as a sage (…) Mr. O’Brien feels that he understands the other two, but there is something about RL that strikes a certain awe in him.”, ebd., S. 85.
[3] “Dinner is nervous time, often a little hell”, ebd., S. 31.
[4] vgl. Sean Gandert: Terrence Malick. The Early Works, in: Paste Magazin.com, 08.06.2011, http://www.pastemagazine.com/articles/2011/06/a-look-back-at-terrence-malick-part-zero.html.
[5] Verena Lueken: Requiem für einen verlorenen Sohn, in: FAZ.net, 15.06.2011, http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kino/video-filmkritiken/video-filmkritik-the-tree-of-life-requiem-fuer-einen-verlorenen-sohn-1105296.html.
[6] ebd.
[7] Andreas Borcholte: Großartiger Größenwahn, in: Spiegel Online, 16.05.2011, http://www.spiegel.de/kultur/kino/0,1518,762824,00.html.
[8] Emerson, S. 5.
[9] “The cinematography fetishes nature to such an extent that the images threaten to engulf the narrative, turning the films into exercises in ‘film painting’“, Ben McCann: ‘Enyoing the Scenery’. Landscape and the Fetishisation of Nature in Badlands and Days of Heaven, in: Hannah Patterson (Hrg.): The Cinema of Terrence Malick. Poetic Visions of America, London/New York ²2007, S. 77-87, hier S. 79.
[10] Nick James: Daze of Heaven, in: Sight & Sound, Vol. 21 issue7 (Juli 2011), S. 18-21, hier S. 20.
[11] Obschon als Fleischfresser geführt, verfügten Ornithomimus-Saurier über keine Zähne, weshalb der Parasaurolophus als Beute unwahrscheinlich erscheint, vgl. Artikel „Ornithomimus“, Dinosaurier-info, http://www.dinosaurier-info.de/animals/dinosaurs/pages_o/ornithomimus.php.
[12] “Help each other. Love everyone. (…) Forgive“.
[13] James, S. 21.
[14] “They understand that he is devoted to them. He would never abandon them, no, but always protect them. Still they do not trust him”, s. Malick, S. 31.
[15] Thomas Assheuer: Im Schoß der Weltmutter, in: Zeit Online, 16.06.2011, http://www.zeit.de/2011/25/Film-Tree-of-Life.
[16] Kerstin Decker: Gott guckt mit, in: Der Tagesspiegel, 13.06.2011, http://www.tagesspiegel.de/kultur/kino/tree-of-life-gott-guckt-mit/4281006.html.
[17] “STEVE: Can I marry you when I grow up?”, Malick, S. 77.
[18] James, S. 21.
[19] Decker.
[20] John Waters: The Best Films of 2011, in: Artforum, Dezember 2011, http://artforum.com/inprint/id=29547.
[21] James, S. 21.
[22] Christina Striewski: Drei Schlote, zwei Krokodile, ein Fisch, in: Perlentaucher, 25.07.2011, http://www.perlentaucher.de/artikel/7000.html.
[23] Malick, S. 6.
[24] Die Stelle wird teilweise auch als “Life of my life“ wiedergegeben, was auf die geflüsterten und daher nicht immer vollends verständlichen Voiceover zurückzuführen ist.
[25] Borcholte.
[26] Assheuer.
[27] Susan Vahabzadeh: Stückchen Schöpfung, in: Süddeutsche.de, 15.06.2011, http://www.sueddeutsche.de/kultur/im-kino-the-tree-of-life-stueckchen-schoepfung-1.1108482.
[28] Borcholte.
[29] James, S. 21.
[30] Lueken.
[31] Harald Peters: Brad Pitt kann bei Terrence Malick nichts retten, in: Welt Online, 15.06.2011, http://www.welt.de/kultur/kino/article13429086/Brad-Pitt-kann-bei-Terrence-Malick-nichts-retten.html.
[32] Striewski.
[33] Assheuer.
[34] „nach der Bedrängnis jener Zeit wird die Sonne sich verfinstern und der Mond seinen Schein verlieren“, Matthäus, 24,29 (Lutherbibel).
[35] Heidegger, Martin: Wozu Dichter?, in: Ders.: Holzwege, Frankfurt am Main  1963, S. 248-295, hier S. 256.
[36] “Being is the ground of beings because beings come to presence through Being”, Marc Furstenau/Leslie MacAvoy: Terrence Malick’s Heideggerian Cinema. War and the Question of Being in The Thin Red Line, in: Hannah Patterson (Hrsg.): The cinema of Terrence Malick. Poetic visions of America, London/New York ²2007, S. 179-191, hier S. 183.
[37] Emerson, S. 10.
[38] vgl. Aristoteles: Metaphysik I, 3, http://classics.mit.edu/Aristotle/metaphysics.1.i.html.
[39] Dan Hoffman: Terrence Malick’s Poetic Vision of the Outlaw Couple. Badlands, in: Thought Catalog, 1. April 2011, http://thoughtcatalog.com/2011/terrence-malicks-vision-of-the-outlaw-couple-kit-and-holly-in-badlands/.
[40] Der Tod von Jacks Kamerad erfolgt in der Tradition von Bill (Richard Gere) in Days of Heaven und Witt (James Caviezel) in The Thin Red Line im Wasser.
[41] vgl. “The Tree of Life: Die Hintergründe” © Concorde Video.
[42] vgl. A. O. Scott: Heaven, Texas and the Cosmic Whodunit, in: New York Times, 26.05.2011, http://movies.nytimes.com/2011/05/27/movies/the-tree-of-life-from-terrence-malick-review.html.
[43] Lueken.
[44] Furstenau/McAvoy, S. 182.
[45] Ian Nathan: The Tree of Life, in: Empire, issue 266 (August 2011), S. 50f., hier S. 51.
[46] Ron Mottram: All Things Shining. The Struggle for Wholeness, Redemption and Transcendence in the Films of Terrence Malick, in: Hannah Patterson (Hrsg.): The cinema of Terrence Malick. Poetic visions of America, London/New York ²2007, S. 14-26, hier S. 14.


Szenenbilder „The Tree of Life“ © Concorde Video.

Takes all kinds

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Auf den französischen Existentialisten Jean-Paul Sartre geht das Zitat zurück: „Jugend will, dass man ihr befiehlt, damit sie die Möglichkeit hat, nicht zu gehorchen“[1]. Der Teenager als Rebell also, der sich gegen das gesellschaftliche System widersetzt. Gegen das Kollektiv opponiert, um sich als Individuum zu behaupten. Die Stadtmauer als Gefängnis wahrnimmt, um zu erkennen, dass sie eine Schutzfunktion erfüllt. Auch die Protagonisten in den Filmen von Terrence Malick gehorchen keinen Befehlen, rebellieren gegen das System. Und letztlich bezahlen sie einen hohen, wenn nicht den höchsten Preis dafür. Mit ihrem Leben.

All die Jack O’Briens, John Smiths, Private Witts, Bills und Kits – sie tun, was sie nicht tun sollen. Während die jüngeren Zwei aus Malicks Feder einer gnadenvollen und besseren Welt nachtrauern, die sich so vergänglich gab, wie sie war, bezahlten die älteren Figuren Malicks ihre Abkehr von den Normen und Werten ihrer Umgebung mit dem Leben. Nun hat dies sicherlich bis auf The Tree of Life weniger damit zu tun, dass sich die Männer in Malicks Kino aus rebellischem Trotz gegen das System stellen. Vielmehr sind sie angetrieben von einer inneren Leere und einem Drang nach Erfüllung, den sie im System nicht gefunden haben.

Und auf wen trifft dies wohl eher zu, als auf Jugendliche und Spätpubertierende. Sie müssen ihren Platz in der Gesellschaft erst finden und hierzu auch erstmal sich selbst. So zeigt Malick in seinem Debüt Badlands zwar den Aufstieg einer rebellierenden Jugend, symbolisiert durch deren Ikone James Dean und ihr Medium, der Rock ’n’ Roll, [2] dennoch dreht sich der Film vielmehr um die Identitätssuche zweier zielloser und einsamer Figuren. Sie finden letztlich nicht zusammen, weil sie einander lieben und sich Halt geben, sondern vielmehr, weil sie durch den anderen eine Rolle zugeteilt bekommen, die sie erfüllen können.

“As I’d never been popular in school and didn’t have a lot of personality, I was surprised that he took such a liking to me“, verrät uns die 15-jährige Holly (Sissy Spacek) im Voiceover ihre Zuneigung zu dem zehn Jahre älteren Kit (Martin Sheen). Über ihr Leben und ihre Vergangenheit erfahren wir nicht viel. Die Mutter starb an einer Lungenentzündung als Holly noch ein Kind war, ihr Vater (Warren Oates) “could never be consoled by the little stranger he found in his house“. Holly identifiziert sich somit selbst als „Fremde“ für ihren Vater, eine Interpretation, die aufgrund ihres distanzierten Off-Kommentars ambivalent ist.

Denn während des ersten Aktes verhält sich Oates’ Mr. Sargis so, wie man es vom Vater einer Pubertierenden erwarten würde. Kits Beruf als Müllmann in Verbindung mit seinem Alter repräsentieren nicht das Wunschbild für den Freund der Tochter. Das erste Mal als wir ihn sehen, agiert er mit Holly spielerisch, zu ihrer Belustigung. Seine Verurteilung von Kit ist aus seiner Sicht nachvollziehbar, die Ermordung ihres Hundes dafür sicherlich überzogen. Generell ließe sich jedoch nicht sagen, dass seine Tochter für ihn eine Fremde wäre oder er keine Beziehung zu ihr hätte. Auch wenn uns in letztere nur bedingt Einblick gewährt wird.

Dennoch ist die Beziehung zu Kit für Holly eine andere und weniger an Vorschriften gebundene. “I looked good to him, and whatever I did was okay“, erzählt sie. Nie habe sie jemanden gesehen, der so gutaussehend war wie Kit. “He looked just like James Dean“, zieht sie einen ähnlichen Vergleich wie später der Polizeibeamte, der Kit verhaftet. “He could’ve had any other girl in town“, glaubt Holly mehr als dass sie es weiß. Umso bedeutsamer ist somit die Entscheidung Kits, dass er sie zur Freundin wählt. Es ist keine gesetzlich verpflichtende Bindung, wie zwischen ihr und ihrem Vater, sondern eine aus freien Stücken gewählte.

Auch für Kit ist die Beziehung als solche vielmehr von einem Identifikationswert als die Person, mit der er diese Beziehung führt. “Before I met her, nobody could ask me how I was doing with my girl”, erläutert der Twen seine Intentionen gegenüber Hollys Vater. Es ist bezeichnend für die Geschichte von Badlands, dass Kit und Holly keine Liebe eint. Weder eine emotionale noch eine körperliche. “He wasn’t interested in me for sex“, verrät uns Holly. Interessanterweise kurz bevor sie uns versichert, Kit halte sie für attraktiv. Ihr erstes Mal miteinander (und zudem Hollys Entjungferung) gerät dementsprechend bedeut- und belanglos [3].

“It’s a passionless romance“, urteilt daher Sean Gandert [4]. Zuneigung, erneut sowohl in emotionaler wie sexueller Hinsicht, erleben wir kaum zwischen den beiden. Es ist Hollys rückblickende Erzählung und Kommentierung der Ereignisse, die sie zu einem tragischen Liebespaar avancieren lässt [5]. “He wanted to die with me, and I dreamed of being lost forever in his arms“, schaut sie zurück und evoziert eine Romanze und Liebe, die wir in den Bildern nicht entdecken. Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, wie Malick uns deren Bildfolge präsentiert, dennoch dürften “these days of happiness“ nur in Hollys Fiktion existieren [6].

Aber die Identitäten als Liebhaber sind nicht die einzigen, die beide ausprobieren. Holly erfüllt in Badlands eine klassisch-stereotype Frauenrolle, die auf die Handlungen der Männer in ihrem Leben reagiert, ehe sie gegen diese rebelliert. So ersetzt Kit quasi ihren Vater, ist der aktivere Part, der ihre Entscheidungen (mit-)bestimmt. Er ist es auch, der redet. Sei es zu Holly oder Aufzeichnungsgeräten (“I got some stuff to say“), während sie ihm schweigend zuhört und sich nur in ihren Gedanken äußert (“I (…) spelled out entire sentences with my tongue on the roof of my mouth, where nobody could read them”).

Es ist somit typisch für die Beziehung der beiden, dass Holly darauf wartet, welche Entscheidung Kit trifft, um dieser Entscheidung anschließend zu folgen [7]. Gegenüber dem jungen Paar, dem sie nach der Ermordung von Cato (Ramon Bieri) begegnen, drückt Holly dies treffend aus als: “he says frog, I jump“. Erst im Verlauf des dritten Akts kommt es dann, dass Holly “stopped paying attention to Kit“. Zu diesem Zeitpunkt haben sich die Liebhaber abgenutzt. Holly verliert das Interesse an Kits Aktionen und dieser wiederum seinen einzigen Zuhörer. Während Holly zum Status quo zurückkehrt, setzt Kit allein seinen Weg fort.

Als Aktiverer und Älterer ist es Kit, der eine größere Bandbreite an Identitäten ausprobiert. Eine eigene besitzt er nicht, berichtet Holly sogar davon, dass er seine Unterschrift fälschen würde. Aus Kit dem Müllmann wird so im Laufe des Films Kit der Cowboy, dann Kit der Freund und schließlich Kit der Mörder. Über jeder dieser Rollen schwebt dabei sein Auftreten als Rebell, modelliert nach dem äußeren Erscheinungsbild des Ikonenhaften James Dean, dem Kit auch in seiner Gestik nacheifert [8]. Somit ist Kit ganz klar auf der Suche nach einer Funktion, einer Identität. Und am vielversprechendsten gerät dabei seine Rolle als Mörder.

Dabei war dies nicht zwingend das vorherbestimmte Schicksal von Kit, der sich mehr oder weniger mit jeder seiner Identitäten anfreundete und keine großen Unterschiede zwischen ihnen machte. “It’s a routine, like anything“, beschreibt er Holly seinen Jobwechsel vom Müllmann zum Cowboy. Zur Routine entwickelt sich infolgedessen dann auch sein Mordverhalten, indem er einfach die Menschen erschießt, die sich ihm in den Weg stellen [9]. Dennoch ist Kit nicht zwingend ein anarchistischer Außenseiter, zeigt sich doch sowohl im ersten Akt als auch später, dass er durchaus ein Bewusstsein für die gesellschaftlichen Normen besitzt.

So kritisiert Kit eine Frau auf seiner Müllroute, die ihre Rechnung nicht zu bezahlen scheint. “She’s gonna get in trouble if she doesn’t watch out“, urteilt er. Hier zeigt sich, dass Kit sehr wohl einschätzen kann, welche Konsequenzen Handlungen haben können. Als er mit Holly in die Stadt fährt und eine Mülltüte auf dem Boden sieht, zeigt sich erneut seine „zivilisierte“ Seite: “If everybody did that the whole town would be a mess“. Kit sieht sich als jemand, der etwas zu sagen hat – nur dass ihm nie jemand zuhört. “Nobody asked me what I thought", beklagt er auch seinen Nachnamen „Carruthers“. “They just hung it on me”.

“Kit might not actually say much of great interest, but he does believe that he has things on his mind to say, and Holly is someone who will listen to him passively”, resümiert Dan Hoffman [10]. Ein Kernaspekt ist dabei das Adverb „passiv“. Als ihm Hollys Vater nicht zuhören will, erschießt er ihn. Ebenso Cato kurz darauf als sein zweites Opfer. Passive „Zuhörer“ sind für Kit auch der Voice-o-Graph am Bahnhof sowie das Dictaphone des reichen Mannes. “Listen to your parents and teachers“, rät er seinem Publikum. Erneut ein sehr ironischer Satz aus seinem Mund, wo es doch Holly war, die nicht auf ihren Vater hörte und sich für Kit entschied.

Ohnehin stellt Gandert zutreffend fest, dass Kit mehr Wert auf Objekte denn Menschen zu legen scheint [11]. “He’s willing to lecture to objects but not to people and the one person he can’t bring himself to kill is the one whose objects he admires.“[12] In der Tat erscheint die Geiselnahme des reichen Mannes als Spiegelbild zu den Altersgenossen, nur, dass er auf den reichen Mann nicht schießt [13]. Offensichtlich bewundert Kit das Haus und den Besitz des Oberständlers, während er Catos Habseligkeiten als “bunch of junk“ abtut. Für Kit ist Besitz folglich ein Statussymbol, mit der Betonung auf Symbol.

Denn Symbole bedeuten ihm eine Menge [14]. Seien es die aufsteigenden Ballons als Treueschwur, die Zeitkapsel, die er in der Wüste vergräbt oder den Stein, mit dem er nach ihrem ersten Mal Hollys und seine Hand brechen will (“That way we’d never forget what happened today“). Als Holly dies verständlicherweise ablehnt, behält Kit dennoch einen der Steine als Erinnerung. Auch mit der Aufzeichnung seiner Stimme hinterlässt er etwas, das Bestand hat – ähnlich wie der Handbruch, die Ballons oder die Zeitkapsel. Es verwundert daher nicht, dass Kit seine Verhaftung später mit einigen gestapelten Steinen kennzeichnet [15].

Genauso verteilt Kit seine spärlichen Habseligkeiten als Reliquien an die Staatspolizei, deren Hüte er während des Transports bewundert. Wie schon zuvor in seiner Anerkennung der ihn verhaftenden Polizisten, darunter Deputy Tom, der kaum älter als Kit scheint. Da sich Kit weniger mit der Rolle des Kriminellen identifiziert als dass er sie einfach ausfüllt, glaubt Hoffman: “Kit could have got as much out of being a heroic police officer as he did from being a notorious criminal, and the choice to be one and not the other seems somewhat arbitrary“[16]. Denn wie er selbst sagte, erscheint ihm alles nur eine Routine zu sein.

Am Ende haben sich jedenfalls sowohl Holly als auch Kit für eine Identität entschieden. “Having tried, unsuccessfully, to negotiate satisfactory identities for themselves outside the law/society they make the shift to seek them within it“, fasst Patterson zusammen [17]. Kit akzeptiert seine Rolle als Krimineller (“You had to take the consequences (..) and not whine about it later”), verschläft seine Urteilsverkündung und wird exekutiert. Holly hingegen “is (..) moving from law breaker to law upholder“, als sie später den Sohn ihres Anwalts heiratet [18]. Geht also den Weg “from rebel to conformist without questioning her experience“[19].

Die Motive der Charaktere sind fragwürdig und dem Publikum verschlossen [20], “Malick is not interested in the psychology of his characters“[21]. Am ehesten Zugang erhalten wir noch zu Kit, während Holly ein Änigma bleibt. Die Bilder ihrer Jugend, die für den Zuschauer Gegenwart sind, kombiniert mit dem begleitenden Voiceover, der aus der Zukunft kommt, verzerren die Ereignisse. Wir sehen nicht, was diese Figuren aneinander finden, bekommen jedoch erzählt, dass Kit “wanted to die with“ Holly und sie “dreamed of being lost forever in his arms“. Besser eine Woche mit jemanden, der einen liebt, als eine Ewigkeit allein.

Vieles ist hier sicherlich auch dem Alter der Figur geschuldet. Mitten in der Pubertät stellt Holly eine „Beute“ dar (siehe auch das zweite Szenenbild, weiter oben), die sich durch die Aufmerksamkeit eines Jungen den Kopf verdrehen lässt. Ihre unschuldige Naivität untermalt Malick in einer Szene, in der er auf Hollys Blick die Nahaufnahme einer Kuh folgen lässt, die von Kit in einen Viehhalter gesperrt wird. “I’ve got to stick by Kit. He feels trapped“, erklärt sie später dem Mädchen, das Cato besucht und reagiert erstaunt darüber, dass alle denken, sie hätte Kit um ihren Finger gewickelt (“I never told him to shoot anybody”).

Letztlich bewahrheitet sich dann, was Kit gegenüber ihrem Vater prognostiziert hat: “She’d get along okay. And if she didn’t, why, she could just take off“. Fühlte sich Kit ihrer Meinung nach zum Zeitpunkt von Catos Tod noch eingesperrt, gesteht sie gegenüber dem reichen Mann ihre Bedenken, dass etwas mit seiner „Birne“ nicht stimmen könnte. Als sie sich dann nach der Flucht in die Badlands von Montana schließlich von ihm lossagt, reagiert Kit zwar aufgebracht [22], dies dürfte jedoch der Tatsache geschuldet sein, dass ihm die Vorstellung graute, er könnte alleine erschossen werden, “without a girl to scream out his name“.

Eine besondere Funktion in Badlands nimmt aber auch die Natur ein – “in a sense a character in all of Malick’s films“[23]. Es ist die Natur, in der Kit und Holly zu Beginn bei einem Kartenspiel (“What a nice place“) ihren Frieden finden und später auch ihr erstes Mal miteinander verleben. Ben McCann sieht etwas Harmonisches in der Natur: “an equilibrium that is in direct opposition to the fractured and dysfunctional human concerns“[24]. Malick zeigt uns seine fortan typischen Nahaufnahmen von Tieren und Pflanzen, friedliche Bilder als “bridge to another world and as a sign of it’s existence”, wie Mottram konstatiert [25].

In der Natur suchen die beiden jungen Menschen nach dem Patrizid anschließend auch Zuflucht, gemäß Emerson: “In the woods we return to reason and faith. There I feel that nothing can befall me in life“[26]. Hier werden Kit und Holly mit allem ausgestattet, dessen sie bedürfen. Aus Ästen und Holz bauen sie ihr Baumhaus, ihre Hühnerkäfige – “there wasn’t a plant in the forest that didn’t come in handy“, berichtet uns Holly. Das Glück ist durch Kits Militarisierung und Aufrüstung der friedlichen Umgebung aber nur von kurzer Dauer. Als er beim Fischen statt seinem Köcher die Pistole benutzt, erregt er Aufmerksamkeit.

Die Rückkehr in den Garten Eden ist vorbei. Durch das Auftauchen der Kopfgeldjäger und Kits Akt der Gewalt verschwinden das Gute, die Liebe, die Gerechtigkeit – „sie haben aus dem Paradies die Hölle gemacht“[27]. Für Thomas Hajduk ist der Dreifachmord „ein naturalistisch-anthropologisches Gemälde des Menschen und der Gewalt – Natur als Spiegel menschlichen Wesens“[28]. Zum Frieden finden Kit und Holly danach nicht mehr zurück. Die Einöde der Badlands markiert den Bruch des Paares, festgehalten von Nat King Coles „A Blossom Fell“: “I thought you loved me (…) The Dream has ended, for true love died“.

In Malicks Oeuvre nimmt Badlands eine besondere Rolle ein. Nicht so sehr, weil es „eines der aufregendsten Debüts der amerikanischen Filmgeschichte“[29] ist oder “one of the best literate examples of narrated American cinema since the early days of Welles and Polonsky“[30], sondern weil es sicherlich seinen zugänglichsten Film darstellt. “It’s the film that everyone universally loves. (…) Most of his other films attempt to be so large that they can’t possibly hit in every way and many find that disappointing”, schließt Gandert [31]. Und im Vergleich zu The New World und The Tree of Life ist Badlands fraglos konventioneller.

Zwar hielt sich der Regisseur hier (zum letzten Mal) genau an sein Drehbuch [32], dennoch zeigte sich bereits seine eigentümliche Arbeitsweise, die viele Crew-Mitglieder verstörte und zur Kündigung bewegte [33]. Somit trägt Badlands durchaus viele Züge seines Regisseurs und Autors (in den USA der 1970er die Ausnahme von der Regel [34]), der sich vom echten Mörder Charles Starkweather und seiner jugendlichen Freundin Caril Ann Fugate inspirieren ließ. Hierbei lieferte er jedoch „keine Rekonstruktion, sondern [eine] philosophische Interpretation der Vorfälle“[35] zwischen 1956 und 1958 im US-Bundesstaat Nebraska.

Inspiration aus Malicks Film zogen wiederum zum einen Bruce Springsteen mit seinem Song „Nebraska“ (1982) [36], sowie Quentin Tarantino mit seinen Filmen True Romance (1993) und Natural Born Killers (1994) [37]. Wenig verwunderlich also, dass Badlands bereits 1993 vom National Film Registry in sein Verzeichnis aufgenommen wurde [38]. Und während Kit und Holly ruhelos auf der Suche nach einer Identität waren, hatte sie Malick mit seinem Debütfilm gefunden. Heute gilt er als einer der großen Regisseure seiner Zunft. “These days of happiness“ waren für Terrence Malick 1973 noch nicht vorbei. Sie hatten gerade erst begonnen.



Quellenangaben:

[1] http://www.zitate-online.de/sprueche/kuenstler-literaten/18125/jugend-will-dass-man-ihr-befiehlt-damit.html.
[2] vgl. Ron Mottram: All Things Shining. The Struggle for Wholeness, Redemption and Transcendence in the Films of Terrence Malick, in: Hannah Patterson (Hrg.): The Cinema of Terrence Malick. Poetic Visions of America, New York/London ²2007, S. 14-26, hier S. 26.
[3] Holly: “Is that all there is to it? (…) Gosh, what was everybody talking about?”.
[4] Sean Gandert: Focus on Terrence Malick. Badlands, in: Paste Magazine, 22.06.2011, http://www.pastemagazine.com/articles/2011/06/focus-on-terrence-malick-badlands.html.
[5] Neil Campbell: The Highway Kind. Badlands, Youth, Space and the Road, in: Hannah Patterson (Hrg.): The Cinema of Terrence Malick. Poetic Visions of America, New York/London ²2007, S. 40-51, hier S. 42: “her narration (…) transforming events into a romantic fantasy of love and honour”.
[6] vgl. Dan Hoffman: Terrence Malick’s Poetic Vision of the Outlaw Couple. Badlands, in: Thought Catalog, 01.04.2011, http://thoughtcatalog.com/2011/terrence-malicks-vision-of-the-outlaw-couple-kit-and-holly-in-badlands/: “Holly might claim that they are in love, but the events show a rather passionless affair”.
[7] vgl. Hannah Patterson: Two Characters in Search of a Direction. Motivation and the Construction of Identity in Badlands, in: Dies. (Hrg.): The Cinema of Terrence Malick. Poetic Visions of America, New York/London ²2007, S. 27-39, hier S. 33: “a typical feature of their relationship – she waiting for him to establish what will happen before subsequently falling in line”.
[8] Das Schultern des Gewehrs, wie es Dean in Giant (1956) zur Schau stellt, erhält durch die daraus resultierende Kreuz-Darstellung zudem einen messianischen Subtext, des zu opfernden Rebells gegen das vorherrschende gesellschaftliche System.
[9] Malick wies Sheen an, sein Gewehr als einen “magic wand“ zu sehen. “Someone gets in your way, puff, they’re gone“, vgl. Absence of Malick © Warner Home Video.
[10] Hoffman.
[11] vgl. Gandert: “The fetishization of objects continues throughout the picture and it’s worth considering the values Kit places on them rather than people“.
[12] ebd.
[13] In beiden Fällen harren Kit und Holly in einem Haus aus und erhalten unerwartet Besuch. Während Kit den ersten Besuch, die Jugendlichen, als Geiseln nimmt und möglicherweise erschießt, lässt er den zweiten Besuch (gespielt von Terrence Malick selbst) weiterziehen. Als ihm der Junge versichert, nichts anzustellen, zweifelt Kit an seinen Worten (“You expect me to believe that?“). Beim reichen Mann belässt er es bei einem spielerischem Rat (“Okay, no monkey business then“).
[14] vgl. Campbell, S. 46: “Kit marks his ’history’ with symbolic gestures“.
[15] “Right there’s where you caught me”, weißt er die Polizisten eigens darauf hin.
[16] Hoffman.
[17] Patterson, S. 38.
[18] Anne Latto: Innocents Abroad. The Young Woman’s Voice in Badlands and Days of Heaven, with an Afterword on The New World, in: Hannah Patterson (Hrg.): The Cinema of Terrence Malick. Poetic Visions of America, New York/London ²2007, S. 88-102, hier S. 93.
[19] ebd.
[20] vgl. Hoffman: “characters whose motives we never quite understand“.
[21] M. Leary: Badlands, in: Film-Think, 24.03.2008, http://www.film-think.com/2008/03/badlands-malick-1973.html.
[22] Entgegen seiner Äußerung gegenüber ihrem Vater, dass es ihm nichts ausmachen würde, sollte sie ihn verlassen (“I wouldn’t mind”).
[23] Hoffman.
[24] Ben McCann: ‘Enjoying the Scenery’. Landscape and the Fetishisation of Nature in Badlands and Days of Heaven, in: Hannah Patterson (Hrg.): The Cinema of Terrence Malick. Poetic Visions of America, New York/London ²2007, S. 77-87, hier S. 82.
[25] Mottram, S. 16.
[26] Ralph Waldo Emerson: Nature (1836), in: Ders.: Nature and Other Essays, Mineola 2009, S. 1-33, hier S. 3.
[27] Georg Seeßlen: Terrence Malick. Heideggers einsamer Cowboy, in: Cicero, 17.06.2011, http://www.cicero.de/salon/heideggers-einsamer-cowboy/42101.
[28] Thomas Hajduk: Badlands – Meditationen über das Böse, in: Filmzentrale, o.J., http://www.filmzentrale.com/rezis/badlandsth.htm.
[29] Seeßlen.
[30] Jonathan Rosenbaum: Badlands, im Original erschienen am 07.11.1974, http://www.jonathanrosenbaum.com/?p=16692.
[31] Gandert. Vergleiche hierzu die Bewertung von Malicks Filmen auf Rotten Tomatoes, wo Badlands mit 98% sein am besten rezipiertes Werk ist (http://www.rottentomatoes.com/celebrity/terrence_malick/).
[32] ebd.: „This was also the last time Malick would stick at all close to his script“.
[33] ebd.: “By the end of the shoot, almost everyone had quit, many because of Malick’s idiosyncratic working methods [who] preferred to shoot in sequence rather than using the same set-up for his shots”. Zeitweise mussten sogar Spacek und Sheen Crew-Aufgaben übernehmen.
[34] vgl. John Orr: Terrence Malick and Arthur Penn. The Western Re-Myth, in: Hannah Patterson (Hrg.): The Cinema of Terrence Malick. Poetic Visions of America, New York/London ²2007, S. 63-76, hier S. 68: “in 1970s America the single writer-director with original material was a rare thing”.
[35] Hajduk.
[36] Zwar wurde Springsteen von Malick inspiriert, der Song behandelt jedoch die Ereignisse um Charles Starkweather in Nebraska, wie der Songtitel andeutet. “They wanted to know why I did what I did / Well, Sir, I guess there’s just a meanness in this world“, zeigen sich die Lyrics folglich auch ungleich fatalistischer, vgl. Bruce Springsteen: Nebraska, in: Ders.: Nebraska, Columbia Records.
[37] Auch in True Romance fungiert die Frauenfigur von Patricia Arquette als Erzählerin der Ereignisse, mit einem tonalen Voiceover, der an Sissy Spacek angelehnt ist (“I kept asking Clarence, why the world seemed to be collapsing and everything seemed so shitty. And he’d say: ‘That’s the way it goes. But don’t forget, it goes the other way, too’. That’s the way romance is. And usually that’s the way it goes. But every once in a while it goes the other way, too.”).
[38] Zum Vergleich: A Tree Grows in Brooklyn, das Debüt von Elia Kazan von 1945 schaffte es erst 2010 in das Verzeichnis, Charlie Chaplins The Kid (1921) sogar erst im vergangenen Jahr.

Szenenbilder „Badlands“ © Warner Home Video.

Nobody's Perfect

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Man findet kaum eine Kritik oder einen Text zu Terrence Malicks zweitem Spielfilm Days of Heaven (1978), die nicht mehr oder weniger überschwänglich die Ästhetik und Schönheit der Bilder lobt. Katy Karpfinger empfand ihn als “visual poem“[1], Till Kadritzke realisierte, dass der Film „zu den ästhetisch schönsten Werken der Filmgeschichte“ gehöre [2], Roger Ebert schrieb, es sei “one of the most beautiful films ever made“[3], “if not the most beautiful film ever made“, wie Mike Dawson resümiert [4]. Für seine Kameraarbeit wurde Néstor Almendros 1979 mit dem Oscar ausgezeichnet [5], und wie aus den Kritiken herauszulesen ist, stellt die Schönheit seiner Bilder in der Tat das Hauptmerkmal in Malicks Film dar.

Dass dies jedoch auch negative Aspekte haben kann, bemerkt Doğa Çöl: “Some may argue that the use of Almendros’ strong cinematography almost casts a shadow over the story; characters and plot seem weak when compared”[6]. Ein Gefühl, das nicht wenige kennen. So nannte Harold Schonberg den Film in der New York Times seiner Zeit “an intolerably artsy, artificial film”[7] und selbst über 30 Jahre später mokierte der Schauspieler Christopher Plummer in einem Gespräch mit Newsweek hinsichtlich seines Engagements in The New World, dass Malick “gets terribly involved in poetic shots, which are gorgeous, they are paintings, all of them, but he gets lost in that and the stories get diffused”[8].

Wahrhaftig war es Days of Heaven, der maßgeblich Malicks Arbeitsweise als Regisseur nachträglich beeinflussen würde. “With Badlands Malick found out how to make a film“, schreibt Sean Gandert richtigerweise, “but it was with Days of Heaven that he found his mature style, and since then he’s used the same elliptical, minimalist storytelling and improvised scenes in everything he’s done”[9]. Zwar war bereits Malicks Debüt in der Art und Weise seiner Narration und Inszenierung ungewöhnlicher als andere Genrebeiträge, dennoch ist Badlands ein weitaus konservativerer Film als Days of Heaven. Hielt sich Malick in seinem Debüt noch größtenteils an sein Drehbuch, entfernte er sich nun verstärkt davon.

Das grobe Handlungsgerüst bleibt dabei jedoch gleich. Nach einem im Affekt verübten Mord flieht der Arbeiter Bill (Richard Gere) mit seiner Freundin Abby (Brooke Adams) und seiner jüngeren Schwester Linda (Linda Manz) aus Chicago nach Texas [10]. Dort heuern sie als Erntehelfer auf einer Weizenfarm an, deren vermeintlich sterbenskranker Besitzer (Sam Shepard) sich in Abby verliebt. Um sich die Farm als Erbe zu sichern, drängt Bill seine Freundin dazu, den Farmer zu heiraten. Als er später die Dreiecksbeziehung nicht mehr aushält, verlässt Bill kurzzeitig die Farm, ehe er zur folgenden Ernte zurückkehrt. Realisierend, dass sich Abby in den Farmer verliebt hat, trennt er sich von ihr. Doch es ist zu spät.

“The central plot sounds like the greatest novel James M. Cain never wrote”, bemerkt Matt Zoller Seitz [11]. Auch wenn die Inhaltsangabe eine Geschichte über Liebe, Gier und Tod verspricht, ist Days of Heaven dies zwar, aber noch viel mehr. Und damit schwer zu greifen. So kritisierte Schonberg, der Film “never really makes up its mind what it wants to be“[12] und Gandert mutmaßt, dass “anyone watching the movie for traditional reasons may likely end up disappointed”[13]. Zwar erzählt Malick von einer sich dramatisch entwickelnden Liebesgeschichte, zugleich aber von der menschlichen Natur, vom Frontier-Geist des Western, von der Arbeiterwirklichkeit Anfang des 20. Jahrhunderts und einigem mehr.

Bereits hier ist die Weiterentwicklung gegenüber Badlands sichtbar, der über ein recht wiedererkennbares Handlungsgerüst verfügte. “It’s a movie with murders at its center and its focus is on making sense of them and the characters who committed them“, fasst es Gandert zusammen [14]. In Days of Heaven, erläutert Gandert, “isn’t a deep, driving need to understand these characters like there was in Badlands[15]; wobei dies nicht heißt, dass dem Film dies beim Zuschauer nicht dennoch gelänge [16]. Letztlich erweitert Malick das Spektrum an Motiven und Themen, ohne sich dabei auf Spezifisches festlegen zu lassen. Das Ergebnis ist, wie Gandert schrieb, “a picture that feels like nothing else from the period“ [17].

Den Anfang macht eine Bildcollage im Filmintro, in welchem 24 Schwarzweiß-Fotografien, viele davon von Lewis Wickes Hine, „als Einführung in die historische Wirklichkeit und Stimmung“ fungieren [18]. Die Bilder zeigen das Arbeitermilieu, in welches Malick seinen Film anschließend übergibt [19] und aus dem die drei Hauptfiguren entstammen. Zugleich werden sie entgegen des restlichen Films nicht von Ennio Morricone musikalisch untermalt, sondern von Camille Saint-Saëns’ träumerischem „The Aquarium“ begleitet. Es folgt die erste Szene mit Richard Geres Figur Bill, die in einer Chicagoer Stahlfabrik arbeitet und mit ihrem im Affekt verübten Totschlag die eigentliche Handlung des Films lostritt.

Die Flucht verschlägt Bill, Abby und Linda dann Richtung Westküste. “We’re going west“, beschließt Bill im Drehbuch, “Things gotta be better out there“[20]. Die Hoffnung ruht somit westwärts, so wie es viele Amerikaner im Zuge der Final Frontier durch das Land zog. Dabei verlagert Malick die Handlung nicht nach Kalifornien, sondern nach Texas. Die Wahl der beiden Schauplätze ist Bleek zufolge „sorgfältig mit Bezug auf die amerikanische Geschichte des frühen 20. Jahrhunderts ausgewählt worden“[21]. So stünden sich im Kontext des Films, der im Jahr 1916 spielt, „mit Chicago als Zentrum der Industrie im Norden und Texas als Zentrum der Landwirtschaft im Süden (…) zwei Pole gegenüber“[22].

Auf dem Rücken eines Zuges reisen sie als Wanderarbeiter einer vermeintlich besseren Zukunft hinterher, ähnlich wie es auch heute noch in Süd- und Mittelamerika gepflegt wird [23]. Von dem ruhelosen Charakter der Figuren berichtet auch die junge Linda, die als Erzählerin und Kommentatorin des Films aus dem Off agiert [24]. Sowohl sie als auch Bill und Abby “been going places, looking for things, searching for things“ und landen schließlich in einem texanischen Landzipfel, wo sie für $3 am Tag als “sackers” das Weizenfeld eines namenlosen Farmers bearbeiten [25]. Malick selbst half in seinen Semesterferien als Erntehelfer in Amerika und Kanada aus [26] und kannte somit das Milieu.

Um Getratsche zu vermeiden, geben sich Bill und Abby als Geschwister aus [27] und ziehen mit einem Trek von Arbeitern durch ein Tor mitten im Feld, als handele es sich um die Pforte zum Himmel. Im Hintergrund sehen wir allein und einsam in den Feldern ein viktorianisches Haus, das Belvedere [28], wie in einem verlassenen Garten Eden stehen. Für die Arbeiter sei es tabu, informiert sie der Vorarbeiter Benson (Robert J. Wilke), während der Farmer wie ein losgelöster Herrscher gelegentlich zwischen den Reihen seines Volks wandelt oder sein schickes Mobiliar in die Felder stellt. Wo sich die Arbeiter dem Arbeitnehmer nicht nähern dürfen, sucht der Arbeitnehmer dafür seinerseits den Kontakt zur Arbeiterwelt.

Hier fällt ihm auch Abby ins Auge. “This farmer, he didn’t know when he first saw her…or what it was about her that caught his eye“, verrät uns Linda. Die Anziehung der Figuren bleibt ebenso wie ihre Motive im Unklaren, selbst im ursprünglichen Drehbuch preist der Farmer immer nur Abbys Schönheit als Grund seiner Liebe an [29]. Vielleicht ging es ihm ausschließlich um eine Partnerin, empfindet doch selbst Linda Mitleid mit ihm ob seiner Einsamkeit [30]. Sein Interesse bleibt auch Abby und Bill nicht verborgen, während Letzterer zufällig ein Gespräch zwischen dem Farmer und seinem Arzt überhört. Obschon nur ein Auszug daraus zu hören ist, folgert Bill – und damit das Publikum –, dass der Farmer in Kürze stirbt.

“He knew he was gonna die“, sagt auch Linda, ehe sie – typisch für ihre Erzählstimme – abschweift (“you’re only on this Earth once (…) as long as you’re around…you should have it nice“). Bill sieht seine Chance gekommen, nicht zuletzt da die aktuelle Ernte dem Farmer einen enormen Gewinn bescherte. Abby solle seinen Avancen stattgeben und in ein paar Monaten den Landzipfel erben. Sie müssen selbst etwas gegen ihr schlechtes Leben unternehmen, argumentiert Bill. “Can’t expect anybody else to.“ Linda wiederholt dann für den Zuschauer das Offensichtliche: Dass Bill genug von dem ärmlichen Leben habe. “He figured some people need more than they got…other people got more than they need.“

Im Drehbuch sträubt sich Abby etwas mehr gegen Bills Vorschlag und betrachtet den Plan als Verrat an ihrer Liebe. Dennoch stimmt sie ihm letztlich zu, glaubt einen gewissen Altruismus zu entdecken: “This would be a trade“ [31]. Sie gibt dem Farmer etwas Zuneigung in seinen letzten Monaten, er gibt ihr – sowie Bill und Linda – nach seinem Tod seinen Reichtum. Ihre Ehe mit dem Farmer und die Untreue gegenüber Bill “is the price they have to pay for a lasting happiness“[32]. In diesem Moment verkommt Abby zum Gut, einer Ware, mit der Bill zu handeln beginnt und die der Farmer glaubt, zu erstehen. Die Wünsche und Gefühle von Abby beziehungsweise der Frau spielen eine untergeordnete Rolle [33].

Was folgt, sind die im Titel benannten “days of heaven“. Abby, Bill und Linda partizipieren am Wohlstand des Farmers und genießen ihr neues Leben. “We never been this rich“, sagt Linda, “we were just, all of a sudden, livin’ like kings“. Das Arbeiten hat ein Ende [34], es wartet das süße Leben voller Flaniererei und Fläzerei. “I’m tellin’ you, the rich got it figured out“, genießt Linda ihr neues Leben. Dennoch spricht sie Abby auf ihr Verhalten an (“Why are you doing this?”), die inzwischen jedoch Gefallen an der Situation gefunden hat. “This is not so bad“, findet sie. Schließlich musste sie in Lindas Alter den ganzen Tag Zigarren rollen und sah nie das Licht des Tages. Das Leben auf der Farm ist ein Leben im Paradies.

Zugleich klingt im Titel an “heaven is temporal in the film“[35]. Der Leidtragende ist Bill, der allmählich den Preis für das Glück realisiert. Seine Versuche, die Gefühle zwischen sich und Abby am Leben zu erhalten, erwecken Verdacht beim Farmer, im Film sogar mehr als im Drehbuch [36]. Hinzu kommt, dass dieser sich, entgegen der Erwartungen, gesundheitlich nicht verschlechtert. “Instead of getting sicker he just stayed the same“, bemerkt Linda. Die Ursache könnte in seiner Liebe zu Abby liegen, einem neuen Sinn in seinem Leben. “You make me feel like I’ve come back to life“, drückt er ihr gegenüber seine Gefühle aus. Aus Eifersucht und um den Plan nicht (doch) zu gefährden, ergreift Bill schließlich (erneut) die Flucht.

An dieser Stelle differiert der Film wohl mit am meisten vom Drehbuch, das generell die Tendenz hatte „mehr Figuren, mehr Handlung und Dialog aufzubieten und Motivationsstrukturen deutlich werden zu lassen“[37]. Bill, der das naheste ist, was der Film einen „Antagonisten“ nennen könnte, wird weitaus weicher gezeichnet, als er einem armen Mädchen sein ganzen Geld überlässt [38], während Malick verstärkt die Distanzierung von Abby zu Bill akzentuiert. Warum sie nicht mit Bill mitgehen würden, fragt Linda im Drehbuch. “What for?“, lautet Abbys Antwort. “To sleep in boxcars?“[39] Zugleich sah das Skript vor, dass das Publikum den Eindruck erhält, “that she finds it easier with him gone”[40].

Als Bill später zur neuen Ernte auf die Farm zurückkehrt, freut sich Linda – die wie zuvor in [10] erwähnt, eigentlich Abbys und nicht Bills Schwester war – mehr über sein Erscheinen als Abby [41]. Dass sich diese inzwischen in den Farmer verliebt und von Bill entfremdet hat, führt bei Bill zum Entschluss, die Beziehung zu beenden. Es folgt die späte Einsicht (“Got nobody to blame but myself“) und die Verabschiedung, die jedoch wiederum vom Farmer beobachtet und entsprechend falsch eingeordnet wird. Am Abend desselben Tages bricht ein Schwarm Heuschrecken über die Farm herein und “the destruction the locusts bring mirrors the destruction the central characters have brought on themselves“[42].

Der Farmer konfrontiert Abby und fesselt sie an die Veranda, anschließend setzt er während des Versuchs, die Heuschrecken zu verbrennen, im Streit mit Bill das Feld in Brand. Die Tage des Himmels sind endgültig vorbei, die Farm verloren, das Glück aller drei erwachsenen Hauptfiguren zerstört. Die Heuschrecken, deren Anwesenheit auf der Farm Malick lange vorher bereits ins Bild gerückt hatte, sind eines von vielen biblischen Motiven, die dem Film im Speziellen, aber auch Malicks Kino im Allgemeinen innewohnen [43]. So verortet McCracken in Badlands ein Adam-und-Eva-Thema und sieht Days of Heaven durch den Konflikt zwischen Bill und dem Farmer der Geschichte von Kain und Abel nahestehend [44].

Am Morgen nach dem Feuer kulminiert dann der Zwist der Männer in dem Versuch des Farmers, Bill mit seinem Revolver zu töten. Dieser ersticht seinen Widersacher in Notwehr in den Feldern und ergreift mit Abby und Linda die Flucht. Die Uhren werden somit auf Null gestellt, auf einen Totschlag im Affekt folgt erneut die Flucht. Bills Versprechen zu Beginn (“Things aren’t always gonna be this way“) wurde somit nicht eingelöst, das vermeintliche Paradies wieder verloren [45]. “We didn’t know where we were going, what we were gonna do“, berichtet Linda, die zugleich ihren Bruder verteidigt. “Nobody’s perfect”, sagt sie uns. “There was never a perfect person around. You just got half devil and half angel in you.”

Für Karpfinger ist die Heuschreckenplage ein Anzeichen dafür, dass “nature herself is half angel, half devil”[46], wobei Linda bereits zuvor bemerkte “I think the devil was on the farm“. Die neuerliche Flucht endet für Bill jedenfalls tödlich, womit Malick den Kreis zu seinem Debütfilm schließt. Das Feuer erfüllt in Badlands und Days of Heavenähnliche Zwecke, wie auch der Mord an den Hausherren und sozial höher stehenden Personen [47]. Am Ende der Geschichte wartet auf Kit wie auf Bill nach einem verübten Mord durch die Hand des Gesetzes der Tod, während Holly und Abby frei von den Konsequenzen ihres Handelns ein neues Leben beginnen. Die Zukunft von Linda dagegen erscheint ungewiss.

In seiner Kritik von 1978 schrieb Schonberg von einem “conventional plot“, voll von “all kinds of fancy, self-conscious cineaste techniques“[48]. In der Tat ist es am Ende nicht die Handlung von Malicks Film, die man im Gedächtnis behält, sondern wie sie der Texaner inszeniert hat. “The pleasures of Days of Heaven are (..) purely audio and visual“, befand Gandert [49]. Die Eindrücke, die der Zuschauer mitnimmt, entstammen zuvorderst der Kameraarbeit von Almendros und Wexler, sowie dem Schnitt von Billy Weber. Letzterer sorgte in seiner einjährigen Schnittperiode [50] für episodenhafte Szenen der Länge von oftmals nur wenigen Sekunden, die wie ein Augenzwinkern durch die Handlung wirken.

“Scenes flared up and were snatched away before the mind could fully grasp their plot import”, schreibt Adrian Martin [51]. Seinen Grund hat dies sicherlich in der Art und Weise, wie Malick den Film schlussendlich gedreht hat. In Days of Heaven begann er erstmals, sich lediglich am Drehbuch zu orientieren, “to discover the film in the course of its material making, rather than in the ‘abstract’ phase of its writing”[52]. Im Audiokommentar bemerkt Casting Director Dianne Crittenden, dass der Film “a million times better than the script” geworden sei [53], obschon sich Malick durchaus weitestgehend an sein Drehbuch hielt. Ein entscheidender Faktor fand sich jedoch gerade im Schnitt: der Verzicht auf die meisten Dialoge.

Eine Entscheidung, die auf Anreiz von Weber erfolgt sein soll. “It seemed like the images were more important“, erklärt er [54]. Indem Malick unseren Fokus auf Bild und Ton statt auf die Erzählung richtet, sieht McCracken eine unmittelbare Präsentation der Realität und den Versuch des Auteurs “to bring cinema back to its humblest origins“[55]. Stattdessen traf man die Entscheidung, gelegentlich eine Erzählstimme zu integrieren, allerdings nicht wie im Drehbuch die von Abby, sondern die von Linda [56]. Ihr die Ereignisse beschreibender Off-Kommentar ist es, der Roger Ebert dann sogar glauben lässt “this is the story of a teenage girl (…) we do not feel the full passion of the adults because it is not her passion”[57].

Insgesamt 60 Stunden Material sollen mit der damals 16-jährigen Darstellerin Linda Manz aufgenommen worden und 15 Minuten davon im fertigen Film gelandet sein [58]. Teilweise nahm man eine Textzeile mit ihr auf und legte sie in Endlosschleife über zehn Minuten Filmmaterial, um zu sehen, wo sie am besten passte [59][60]. In seiner oft ins Banale abschweifenden Art ähnelt Lindas Off-Kommentar dem von Holly aus Badlands, er “flits in and out of the tale unpredictably, sometimes knowing nothing and at other times everything, veering from banalities about the weather to profundities about human existence“[61]. Allerdings weiß auch Linda selten mehr als die Bilder bereits verraten.

Dies gilt sowohl für ihre eigene Person als auch für die übrigen drei Figuren. So kommt Bleek zu dem Schluss, „die Figuren erscheinen als Subjekte verloren“ [62]. McCracken sieht in Malicks Fetischisierung der Bilder einen Zusammenhang mit dessen Affinität für die Philosophie von Martin Heidegger und glaubt, der Regisseur sei weniger daran interessiert how the world is, but that it is“ (Herv. d. Verf.) [63]. In eine ähnliche Richtung tendiert McCann, wenn er schreibt “the environment plays a crucial role in the narrative, governing character emotions and motivations”[64]. Standen die Charaktere in Badlands noch im Fokus der Geschichte, würden sie fortan in Malicks Kino Teil des größeren Ganzen sein.

Dass Days of Heaven nicht in vielen Listen der 100 Besten Filme aller Zeiten auftaucht, muss laut Kadritzke „das Ergebnis eines großen Missverständnisses sein“ und Anzeichen dafür, dass der Film „nicht das Ansehen genießt, das er verdient hätte“[65]. Sowohl beim Publikum wie auch den Kritikern avancierte Malicks zweiter Film nicht zum Hit [66], für den Regisseur selbst sollte er jedoch zum persönlichen Durchbruch führen. “This is a movie made by a man who knew how something felt, and found a way to evoke it in us”, beschreibt Ebert [67], was auch Malicks spätere Werke auszeichnen würde: Die Vermittelung von Gefühlen anhand “particularly Malick-ian terrains of grounded earth and infinite sky”[68].

„Kein anderer Regisseur verbindet so kunstvoll eine nachdenkliche Sicht auf die menschliche Natur mit einer fast schon demütigen Sicht auf die wirkliche Natur“, findet Kadritzke [69]. Vielleicht liegt es daran, dass Malick, wie ihm Richard Gere bescheinigt, “not a director for hire“ ist, sondern “he’s expressing his universe”[70]. Dieser philosophisch-didaktische Versuch, sein Universum mit dem Publikum zu teilen, ist so ungewöhnlich wie herausfordernd hinsichtlich der Erwartungshaltung der Zuschauer [71]. Und selbst wenn niemand perfekt ist, versucht es Terrence Malick dennoch zu sein. Vielleicht war das der Grund, wieso es 20 Jahre dauerte, ehe er es wieder wagte, diesen schmalen Grat erneut zu beschreiten.



Quellenangaben:

[1] Katy Karpfinger: In seach of perfection. Terrence Malick’s Days of Heaven, in: New Linear Perspectives, 01.08.2010, newlinearperspectives.wordpress.com/film/k2/.
[2] Till Kadritzke: In der Glut des Südens, in: Filmzentrale, o.J., www.filmzentrale.com/rezis2/inderglutdessuedenstk.htm.
[3] Roger Ebert: Days of Heaven, in: RogerEbert.com, 07.12.1997, rogerebert.suntimes.com/apps/pbcs.dll/article?AID=/19971207/REVIEWS08/401010327/1023.
[4] Mike Dawson: Terrence Malick. Days of Heaven, in: Left Field Cinema, o.J., www.leftfieldcinema.com/terrence-malick-days-of-heaven.
[5] Almendros war jedoch nur für einen Teil der Bilder verantwortlich. Als er für Dreharbeiten zurück nach Europa musste, übernahm Haskell Wexler für die restlichen Wochen den Posten als Director of Photography.
[6] Doğa Çöl: Days of Heaven, in: Un Film De, 13.04.2011, unfilmde.wordpress.com/2011/04/13/days-of-heaven/. Siehe auch Ben McCann: ‘Enjoying the Scenery’. Landscape and the Fetishisation of Nature in Badlands and Days of Heaven, in: Hannah Patterson (Hrg.): The Cinema of Terrence Malick. Poetic Visions of America, New York/London ²2007, S. 77-87, hier S. 79: “the cinematography fetishes nature to such an extent that the images threaten to engulf the narrative, turning the films into exercises in ‘film painting’”.
[7] Harold C. Schonberg: Days of Heaven, in: The New York Times, 14.09.1978, movies.nytimes.com/movie/review?res=EE05E7DF173EE767BC4C52DFBF668383669EDE.
[8] Ramin Setoodeh/David Ansen: George Clooney’s Worst Job? 10 Best Newsweek Roundtable Bits, in: The Daily Beast, 23.01.2012, www.thedailybeast.com/articles/2012/01/23/george-clooney-s-worst-job-10-best-newsweek-oscar-roundtable-bits.html.
[9] Sean Gandert: Focus on Terrence Malick. Days of Heaven, in: Paste Magazine, 11.06.2011, www.pastemagazine.com/articles/2011/07/focus-on-terrence-malick-days-of-heaven.html.
[10] Ursprünglich handelte es sich um Abbys, nicht Bills jüngere Schwester, die auf den Namen „Ursula“ hörte, vgl. Terrence Malick: Days of Heaven, Revised Draft, © Registered with the Writers Guild of America, 02. Juni 1976, www.dailyscript.com/scripts/daysofheaven.html.
[11] Matt Zoller Seitz: All Things Shining, Pt 2. The films of Terrence Malick. Days of Heaven, in: Moving Image Source, 11.05.2011, www.movingimagesource.us/articles/all-things-shining-pt-2-20110511.
[12] Schonberg, Internet.
[13] Gandert, Internet.
[14] ebd.
[15] ebd.
[16] vgl. Kadritzke, Internet: „Wie Malick uns diesen simplen Spannungsbogen präsentiert, wie es ihm mit kurzen eingängigen Dialogzeilen gelingt, uns die Motivation der Figuren näher zu bringen und ihr Handeln zu erklären und welche Bilder er dabei fast beiläufig kreiert, das ist einzigartig und seitdem nicht wieder erreicht worden“.
[17] Gandert, Internet.
[18] Jennifer Bleek: Blick und Welt, Filmästhetische Konstruktionen beim frühen Terrence Malick, München 2009, S. 94, siehe auch S. 85 und S. 87.
[19] ebd., S. 95: „Im Vorspann wird (..) eine Erwartungshaltung geschaffen, die der Film aktualisiert“.
[20] Malick, sc. 11.
[21] Bleek, S. 81.
[22] ebd.
[23] vgl. zum Beispiel Cary Fukunagas Spielfilm Sin Nombre oder Rebecca Cammisas Dokumentation Which Way Home, beide aus dem Jahr 2009.
[24] vgl. Anne Latto: Innocents Abroad. The Young Woman’s Voice in Badlands and Days of Heaven, with an Afterword on The New World, in: Hannah Patterson (Hrg.): The Cinema of Terrence Malick. Poetic Visions of America, New York/London ²2007, S. 88-102, hier S. 97: “Linda’s role is that of a commentator of the events she witnesses”.
[25] Ursprünglich hieß dieser „Chuck Artunov“, vgl. Malick, sc. 23.
[26] vgl. Bleek, S. 13.
[27] “You know how people are“, sagt Linda. “You tell ‘em something, they start talkin’”. Siehe hierzu auch [43].
[28] vgl. Malick, sc. 22.
[29] ebd., sc. 92 und 157.
[30] “He had nobody to stand by his side”, weiß sie.
[31] vgl. Malick, sc. 108.
[32] ebd., sc. 116.
[33] vgl. Pat King: The Early Films of Terrence Malick. Days of Heaven, in: CC2K, 10.03.2011, www.cc2konline.com/current-reviews-topmenumembers-41/63-movies-essays-etc/2365-the-early-films-of-terrence-malick-days-of-heaven: Days of Heaven also explores the question of female freedom and male dominance. (…) Bill feels fine pimping Abby off to the farmer, justifying it by considering the hefty payday that will come when the farmer dies. And the farmer wants to be with Abby even before he knows the first thing about her. (…) We understand that his obsession with Abby is one of ownership and possession. At what point do Abby’s feelings begin to matter?”.
[34] Im Drehbuch wird allerdings durchaus angesprochen, dass Abby (zumindest vor ihrer Hochzeit, vgl. sc. 87) und Bill (vgl. sc. 128) Arbeiten für den Farmer zu erledigen haben.
[35] Brett McCracken: Days of Heaven, in: The Search, 10.05.2011, stillsearching.wordpress.com/2011/05/10/days-of-heaven/.
[36] Dort akzeptiert der Farmer die Zuneigung zwischen den „Geschwistern“, vielmehr noch, es entwickelt sich eine Art Freundschaft zwischen den Männern. Der Farmer “considers Bill a good friend, in fact the only person with whom he can talk about delicate matters“ (vgl. sc. 180), während Bill später, als es zum Bruch kommt, behauptet “You were my friend” (vgl. sc. 282).
[37] Bleek, S. 99.
[38] vgl. Malick, sc. 204.
[39] ebd., sc. 198.
[40] ebd. sc.221.
[41] ebd. sc. 224 sowie sc. 227: “Bill senses that nobody except Ursula is really glad to see him back“.
[42] Dawson, Internet.
[43] vgl. Ron Mottram: All Things Shining. The Struggle for Wholeness, Redemption and Transcendence in the Films of Terrence Malick, in: Hannah Patterson (Hrg.): The Cinema of Terrence Malick. Poetic Visions of America, New York/London ²2007, S. 14-26, hier S. 18: “(…) imagery and events that are Biblical in nature”. Mottram verweist auch auf das zwölfte Kapitel in Genesis, in welchem sich Abram und Sarai in Ägypten als Geschwister ausgeben und der Pharao schließlich Gefallen an der schönen Sarai findet (1. Mose, 10-17).
[44] vgl. McCracken, Internet: “While Malick’s first film, 1973’s Badlands, invokes Adam/Eve mythology, Heaven more closely mirrors the Cain/Abel incident”.
[45] ebd.: Days of Heaven envelops us in the lack and loss of Paradise”. Siehe auch Ebert, Internet: “Malick’s purpose is not to tell a story of melodrama, but one of loss”.
[46] Karpfinger, Internet. Eine Verbindung zwischen Natur und Mensch sieht auch McCann, S. 82: “somehow nature possesses an omnipotence and transcendence that is reflected in the human dramas taking place”.
[47] vgl. Mottram, S. 20: “The fires destroy worlds, which can no longer exist and, in a sense, never existed in an ideal state, and the killings force the main characters to flee and result in death at the hands of the law”.
[48] Schonberg, Internet.
[49] Gandert, Internet.
[50] vgl. Weber Aussage im Audiokommentar © “Days of Heaven“ 2010 by The Criterion Collection. Im Gegensatz dazu schreiben sowohl Kadritzke (Internet) als auch Bleek (S. 83) von einer rund zweijährigen Schnittphase.
[51] Adrian Martin: On Earth as it is in Heaven, in: Booklet “Days of Heaven“© 2010 by The Criterion Collection, S. 6-11, hier S. 8. Siehe auch Nick Schlager: Days of Heaven, in: Slant Magazine, 22.10.2007, www.slantmagazine.com/film/review/days-of-heaven/3213: “The effect, of floating in and out of events like a visiting spectre, is dreamlike”.
[52] Martin, S. 9. Siehe hierzu auch Dawson, Internet: “Malick scrapped his own screen-play during the production and decided to allow the performers to ‘find’ the story in their own way. The finished film differs significantly from the original shooting script as a result”.
[53] Audiokommentar.
[54] ebd.
[55] McCracken, Internet.
[56] “You felt safe listenting to her“, sagt Billy Weber im Audiokommentar.
[57] Ebert, Internet.
[58] vgl. Audiokommentar.
[59] ebd. Ähnlich verfuhr man auch mit der Musik von Ennio Morricone, abgesehen von dem Stück „Fire“ (“I think it’s the only piece of music in the film that is where it was written for“, sagt Weber im Audiokommentar).
[60] Hierzu zählten auch Lindas biblische Bemerkungen, speziell bei der Ankunft in Texas, die nicht im Drehbuch standen, sondern in denen die Schauspielerin Terrence Malick vom Inhalt der Offenbarung des Johannes berichtete, vgl. Audiokommentar.
[61] Martin, S. 8.
[62] Bleek, S. 110.
[63] McCracken, Internet.
[64] McCann, S. 77.
[65] Kadritzke, Internet.
[66] Der Film spielte insgesamt mit etwas mehr als 3,6 Millionen US-Dollar immerhin seine Kosten von 3 Millionen US-Dollar wieder ein (vgl. The Numbers, www.the-numbers.com/movies/1978/0DYOH.php). Anerkennung erfuhr Days of Heaven neben dem Academy Award für die beste Kameraarbeit auch bei den Filmfestspielen von Cannes, wo Malick 1979 zum ersten Mal für seine Regie auszeichnet wurde.
[67] Ebert, Internet.
[68] McCracken, Internet.
[69] Kadritzke, Internet.
[70] Audiointerview mit Richard Gere © “Days of Heaven“ 2010 by The Criterion Collection.
[71] vgl. Joan McGettigan: Days of Heaven and the Myth of the West, in: Hannah Patterson (Hrg.): The Cinema of Terrence Malick. Poetic Visions of America, New York/London ²2007, S. 52-62, hier S. 52: “Terrence Malick’s films share a fundamental insistence on challenging generic expectations in ways that can be puzzling and disturbing to viewers”.

Szenenbilder “Days of Heaven“ © 2010 by Paramount Pictures.

Let them fly commercial

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Die Anekdote von Marie Antoinette und ihrer vermeintlichen Reaktion auf das hungernde Volk, das nach Brot verlangte (“Let them eat cake”), ist – historisch belegt oder nicht – in die Geschichte eingegangen. Ein Beispiel für dekadenten Größenwahn findet sich auch in Lauren Greenfields Dokumentation The Queen of Versailles, die sich zwar nicht mit Marie Antoinette befasst, aber in gewisser Weise mit einer ihrer vielen Erben. Ursprünglich als Porträt der Milliardärsfamilie David Siegel geplant, avancierte der Film durch die Weltwirtschaftskrise von 2008 zu einem grandiosen Vorher-Nachher-Bild der amerikanischen Gesellschaft. “From riches to rags”, wie David Siegel selbst, der Ironie der Situation bewusst, sagt.
Der in Orlando, Florida ansässige Siegel verdankt seinen Reichtum seiner Ferienwohnrechtsfirma Westgate Resorts, die zum Zeitpunkt des Drehbeginns die Größte des Landes gewesen sein soll. Ein entsprechend einflussreicher Mann war Siegel, der im ersten Akt andeutet, für die Präsidentschaft von George W. Bush gesorgt zu haben. Wie genau, will er vor der Kamera jedoch nicht verraten. “It may not necessarily have been legal”, schmunzelt er. Könnte Siegel etwas mit der Stimmennachzählung von 2000 zu tun haben? Auf jeden Fall zeichnet Greenfield anfangs das Bild von einem Mann, der gewöhnlich kriegt, was er will. Und der, wie das Ende des Films zeigt vielleicht das gekriegt hat, was er tatsächlich verdient hat.
Allen voran vermutlich seine dritte Ehefrau Jaqueline, ehemalige Miss Florida von 1993 und die Titelgebende Königin von Versailles. Ein “small town girl”, das nach der Schule eine technische Ausbildung bei IBM absolvierte, jedoch mehr vom Leben wollte und in New York City das Modeln anfing. Dort heiratete sie dann einen Wall Street Broker, ließ sich scheiden, zog nach Florida, gewann die staatliche Miss-Wahl und lernte zwei Jahre später schließlich den 30 Jahre älteren David Siegel kennen. “It took me a while to fall in love with him”, sagt sie über ihren Gatten. “All I wanted was love from him”, gesteht die 43-Jährige zu Beginn. Dass ihr zweiter Mann ein Milliardenvermögen besaß, dürfte nicht geschadet haben.
David sagt zwar, er könne nicht verstehen “what she sees in me”, das Publikum vermag jedoch zwischen den Zeilen zu lesen. Als Kind sei sie in einem Haus mit nur einem Badezimmer aufgewachsen, erzählt Jaqueline als würde sie von ihrer Zeit aus den Slums berichten. Zum Glück bauen die Siegels gegenwärtig eine Villa, die über 30 Badezimmer verfügt, mehr als es Personen im Haushalt gibt. Hinzu kommen zehn Küchen, eine Sushi-Bar, eine Bowlingbahn und zwei Tennisplätze. Über drei Stockwerke erstreckt sich die neue Residenz, die vom Interieur her Versailles nachempfunden wurde. Stolze 90.000m² soll es beanspruchen und wäre in der Folge das größte Haus in den USA – “bigger than the White House”.
Sie hätten nicht bewusst das größte Haus im Land gebaut, gesteht Jaqueline: “It kind of happened”. Der erste Akt von The Queen of Versailles zeigt uns das fantastische Leben der Schönen und Reichen. “If you don’t wanna feel rich than you’re probably dead”, sagt David. In ihrer Welt wird Klasse durch Masse dargestellt, das zeigt sich auch bei der Anzahl ihrer acht Kinder, sieben davon eigene. Früher wollte Jaqueline nur eines oder zwei, aber als sie merkte, dass sich ein Kindermädchen um sie kümmern würde, konnte sie so viele haben wie sie wollte. Eines der wenigen Dinge im Siegel-Haus, das sich in Grenzen hält, ist Verantwortung. “I think everybody is better off being my child”, sagt David.
Dazu gehört auch Richard Siegel, einer seiner Söhne aus einer früheren Ehe, der inzwischen in Las Vegas bei Westgate Resorts angestellt ist. Die Beziehung zu seinem Vater bezeichnet er als geschäftlich, wirklich eng seien sie nicht miteinander. Dankbar für die Möglichkeiten, die ihm David ermöglicht hat, ist er aber wohl schon, während er sein Verkaufsteam einpeitscht, Ferienwohnrechte an den Mann zu bringen. Eigentlich könnte wenig besser sein im Leben der Siegels – bis zu jenem Tag in 2008, als die Weltwirtschaftskrise die Börse traf und letztlich auch Westgate Resorts. David Siegel musste 7.000 Angestellte entlassen, stand vor dem Bankrott und Versailles verkam vorerst wieder zum Traumhaus.
“Everything’s for sale”, sagt Jaqueline nun. Versailles steht für 75 Millionen Dollar zum Verkauf, im Haushalt der Siegels muss eingespart werden. Statt 19 Bediensteten müssen nun vier ausreichen und die Kinder besuchen statt einer Privatschule eine öffentliche Bildungseinrichtung. “They might have to go to college now”, sagt ihre Mutter angesichts der Tatsache, dass sie wohl nicht aus Papis Tasche leben werden können. Ein Universitätsbesuch als Ende der Fahnenstange. Als Jaqueline mit den Kindern eine alte Freundin besucht, fliegen sie zum ersten Mal nicht mit ihrem Privat-, sondern einem Transportflugzeug. “What are all these people doing on our plane?”, fragten die Kinder da ihre Mutter.
Die wiederum ist selbst kaum besser. Obschon gespart werden muss, verfällt sie einem Shopping-Rausch, kauft Brettspiele en masse und ein Fahrrad. Das landet dann von einer der philippinischen Haushälterinnen in der Garage, wo es zu den gut 20 anderen gestellt wird. Unterdessen sterben die Haustiere der Kinder weg, weil sie nicht gefüttert werden, was aber nicht auf die vielen Hunde zutrifft, die auf jeden Fall von den Lebensmittelresten ihrer Herrchen leben können und fleißig das ganze Haus vollscheißen. Ihr Frauchen schimpft zur selben Zeit über die Banker in Greenfields Kamera, die wie Geier seien. Eigentlich, so Jaqueline, hätten die “common people” das Bankenrettungsgeld verdient. “You know, us.”
Und immer wieder berichten Jaqueline sowie ihre Tochter Victoria und ihre Nichte Jonquil, dass sie auch ohne all den Reichtum und Luxus könnten. Aber schön sei er trotzdem. Es hat natürlich seine Vorzüge, wenn man sich wie Jaqueline alleine in einer Stretchlimousine zu McDonalds fahren lassen kann, um sich ein paar Pommes zu holen. Ehemann David dürften beim Anblick der Dokumentation dagegen die Haare zu Berge stehen. Schließlich echauffierte er sich gegen Ende bereits, als im ganzen Haus die Lichter angelassen wurden. Ob ihm seine Ehe Kraft geben würde in diesen schweren Zeiten, fragt ihn Greenfield. Der alte Mann verneint. “Nothing makes me happy these days”, sagt er konsterniert.
Auf ihre Art und Weise spiegeln die Siegels durchaus geschickt die Folgen der Krise von 2008 wieder. Wenn nur noch zwei, drei Filipinas hinter ihnen herwischen, dann lässt sich erahnen, wie es den wirklichen “common people” ergehen muss. Somit kommt man nicht umhin, speziell im zweiten Akt durchaus eine gewisse Schadenfreude zu empfinden, ob der einst so exorbitant und fast schon krankhaft reichen Familie, die von ihrem hohen Ross herunterkommen muss. Mit fortlaufender Dauer zeichnet The Queen of Versailles jedoch noch ein anderes Bild. Eines einer Familie, in der Liebe mehr ein Wort als ein Gefühl zu sein scheint. Und je weniger Geld die Familie hat, desto weniger Harmonie herrscht in ihr.
Dass ihm seine Ehe keine Kraft gibt und Jaqueline für David eher ein weiteres Kind darstellt, spricht Bände. Die gezeigte Zuneigung zwischen dem Ehepaar hält sich in Grenzen, die zwischen Vater und Kindern noch mehr. “I think my dad married my mom as a trophy wife maybe”, sagt die älteste Tochter Victoria. “He doesn’t act like he loves her.” Von Liebe spürt man als Zuschauer in dieser Familie nicht viel, was daran liegen könnte, dass hauptsächlich materielle Zuneigung bei den Siegels zum Ausdruck gebracht wurde. So ist Greenfields Film am Ende fast weniger eine Dokumentation über den Niedergang eines Imperiums als einer Familie. Und ob diese private Krise leichter zu überwinden ist als die finanzielle scheint fraglich.
So wechselt die Gefühlslage des Zuschauers gleichsam mit dem Wandel von The Queen of Versailles von Schadenfreude zu einer Form von Mitgefühl. Am Ende tun David, Jaqueline und Co. einem fast leid, angesichts dessen, dass es das nun fehlende Geld war, das die Familie zusammengehalten zu haben schien. Grundsätzlich sind sie nicht nur Opfer der Bankenkrise geworden, sondern auch ihrer eigenen Dekadenz. Aus ihren Fehlern gelernt haben sie dabei kaum, lässt sich Jaqueline doch auch zum Schluss noch ihre Botox-Spritzen setzen. Letztlich ist sie also auf eine gewisse Art und Weise durchaus die Queen of Versailles– auch wenn sie ihr eigenes, privates Versailles bis heute nicht beziehen konnte.
Szenenbilder “The Queen of Versailles“© 2012 by Magnolia Home Entertainment.

In the Name of the Father

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Inzwischen vergeht kaum ein Monat, kaum eine Woche, ohne dass es Neues über den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche zu berichten gibt. Gerade in Deutschland sind derartige Vorfälle seit Jesuit Klaus Mertes, Rektor des Berliner Canisius-Kollegs, sich Anfang 2010 bei Opfern aus den 1970er und 1980er Jahren entschuldigte, ein Dauerthema. Aber auch zuvor bereits, nicht zuletzt durch die Aufdeckung des Boston Globe im Jahr 2002 von sexuellem Missbrauch und systematischer Vertuschung in der katholischen Kirche der USA. Vier Jahre später widmete sich Regisseurin Amy Berg in ihrer Dokumentation Deliver Us from Evil dem Thema anhand der Vorfälle um den katholischen Pater Oliver O’Grady.

Vor zwei Jahren berichtete Claudia Keller auf Zeit Online, dass allein 2006 „in den USA 714 glaubhafte Beschuldigungen gegen 448 Priester erhoben“ wurden [1]. Der in die USA emigrierte Ire Oliver O’Grady dürfte dazugehört haben. Im Jahr 1971 war er in die Vereinigten Staaten gekommen und in Kirchen und Gemeinden in Kalifornien als Priester tätig. 22 Jahre später wurde er in vier Fällen wegen Kindesmissbrauchs verurteilt und gab an, über zwei Dutzend Kinder in seiner Zeit als Priester vergewaltigt zu haben [2]. Ein Trauma, nicht nur für die Kinder, die als Erwachsene weiter von dem Missbrauch gebeutelt sind, sondern auch für ihre Eltern, die in ihrem religiösen Glauben ihre Kinder Pater O’Grady anvertrauten.

Berg zeigt in ihrem Debütfilm einige dieser vermeintlichen Einzelschicksale, die, wie sich herausstellt, keine solchen sind. Frauen und Männer berichten, wie sich O’Grady ihnen genähert hat. Und wie sie sich nicht trauten, jemandem dies mitzuteilen. Schließlich sind die Priester von Gott eingesetzt und eine Institution, oft über den Glauben hinaus. „Die Geistlichen waren die Götter der Gemeinden“, schrieb Barbara Hans auf Spiegel Online[3]. „Oft galt schon Widerspruch als Frevel.“[4] Zweifel wurden somit nahezu im Keim erstickt, sowohl bei den Kindern als auch ihren Eltern. Mit fatalen Folgen, wie sich Jahrzehnte später zeigen sollte. Nicht nur für die Opfer, sondern auch für die katholische Kirche selbst.


Der inzwischen mit ihr einhergehende schlechte Ruf ist das eine, die finanziellen Entschädigungen bedauert die Kirche vermutlich aber noch mehr. So zahlte allein das Erzbistum in Los Angeles rund 660 Millionen Dollar an seine Missbrauchsopfer [5], laut Deliver Us from Evil soll die katholische Kirche seit 1950 um die eine Milliarde Dollar an Entschädigungen gezahlt haben. Kein Wunder, bei der exorbitanten Zahl an gemeldeten Vorfällen. Der John-Jay-Studie von 2004 zufolge wurde 4.392 Geistlichen, nahezu alles Priester, vorgeworfen, 10.667 Menschen sexuell missbraucht zu haben [6]. Weitaus schockierender als der Missbrauch selbst ist jedoch, dass dieser der Kirche jahrzehntelang bekannt war.

So auch im Falle von O’Grady, der jenem Erzbistum von Los Angeles und seinem Kardinal Roger Mahony unterstand. Der Vorwurf, den der von Berg interviewte O’Grady selbst tätigt, lautet, dass die Kirche nichts gegen die sexuellen Übergriffe ihrer Geistlichen tat. Als es Rückmeldungen über einen möglichen Missbrauch von O’Grady gab, wurde dieser einfach in eine andere Kirchengemeinde versetzt. Dies geschah nicht nur ein Mal und nicht nur im Fall von O’Grady. Vielmehr hat Mahony allein laut Dokumenten „in den achtziger Jahren tatverdächtige Priester aus dem Bundesstaat oder ins Ausland“ bringen lassen, „um sie vor Strafverfolgung zu schützen“[7]. Mindestens 122 Geistliche tauchen in diesen Dokumenten auf [8].

Wer nun denkt, dies sei ein US-amerikanisches Problem, der irrt. Erst im Januar berichtete Matthias Drobinski in der Süddeutschen von Hinweisen auf sexuelle Übergriffe bei 159 Priestern und 96 Religionslehrern [9]. „Verurteilt wurde kaum einer von ihnen“, schrieb Drobinski, „die Vertuschung und Verharmlosung hatte System.“[10] Nicht das einzige System, wie Daniel Deckers in der FAZ berichtete: „Priester haben ihre sexuellen Übergriffe auf Minderjährige zumeist vorsätzlich geplant – und sich Opfer sogar gegenseitig zugeschoben“[11]. Wahrhaftig erschütternde Ergebnisse, die Assoziationen zu organisierten Kinderhändlerringen wecken – nur dass es sich in diesen Fällen um die katholische Kirche handelt.


Solche Aufdeckungen kosteten die Kirche in den vergangenen Jahren nicht nur Millionen an Geldern, sondern auch zahlreiche Glaubensanhänger. Zum Beispiel Bob Jyono, der einst für seine katholische Frau zum Christentum konvertierte und sich nun mit der Tatsache konfrontiert sieht, dass O’Grady seine Tochter Ann jahrelang vergewaltigte und die Diözese nichts unternahm, außer den für Übergriffe bekanten Priester immer wieder in neue Gemeinden zu versetzen, ehe er dort wieder auffällig wurde. “I’ve been betrayed by the church!”, schreit Jyono an einer Stelle im Film und als er später erklärt, er habe den Glauben an Gott verloren, bricht seine inzwischen erwachsene Tochter neben ihm in Tränen aus.

Die sexuellen Übergriffe, so Jyonos Vorwurf, seien der Kirche per se egal. “This is money to the church”, resümiert er. “Just like a big corporation.” Und ähnlich wie eine Großfirma, die sich etwas vorzuwerfen hat, beschwichtigen die Geistlichen in Bergs Dokumentation die Ereignisse. Stets handele es sich um einzelne Vorfälle, ein übergreifendes Problem will aber niemand wirklich erkennen. Dabei schätzte der Psychologe Wunibald Müller vor zwei Jahren „den Anteil der katholischen Priester in Deutschland, die Kinder oder Jugendliche sexuell missbrauchen, auf etwa zwei bis vier Prozent aller Kleriker – also auf 350 bis 700“[12]. Bei zuletzt knapp 39.000 Priestern in den USA wären das somit 780 bis 1.560 Kleriker [13].

Wo wirklich die Ursache für diesen Missbrauch liegt, vermag auch Deliver Us from Evil nicht zu klären. Zieht die katholische Kirche Pädophile an? „Die meisten Priester, die sich an Jungen oder Mädchen vergangen haben, sind nicht pädophil“, schrieb Barbara Hans [14]. Auch seien sie laut einer Studie nicht psychisch krank [15]. Liegt es dann am Zölibat, der nicht religiösen, sondern finanziellen Ursprungs ist [16]? Dem wird sich ebenfalls stets verwehrt. „Überall wo Minderjährige betreut werden, besteht die Gefahr, dass sexuell schwer gestörte Menschen den Kontakt mit Kindern suchen und auch finden“, meinte Matthias Kamann in der Welt[17]. Problematisch wird es allerdings dann, wenn man diese Gefahr unterschätzt.


Dazu gehört, wenn man wie Kardinal Mahony mehrere Priester, die des sexuellen Missbrauchs beschuldigt werden, immer wieder lediglich die Gemeinden wechseln lässt. Als positiven Schritt könnte man erachten, dass von deutschen Bischöfen im Jahr 2002 erstmals „Leitlinien bei sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Geistliche“ erfasst wurden. „Die verabschiedeten Richtlinien haben allerdings nur den Charakter von Selbstverpflichtungen“, offenbarte Claudia Keller [18]. „Hält sich ein Bischof nicht daran, steht er vielleicht in der Öffentlichkeit nicht gut da, aber kirchenintern hat das keine Folgen für ihn.“[19] Das Thema, so scheint es, wird in der Kirche verdrängt, die Täter geschützt, die Opfer allein gelassen [20].

Wer „aufmuckt“, wird klein gehalten. So wie der in Deliver Us from Evil zu sehende Priester und Kirchenrechtler Thomas Doyle, der bereits zwei Mal aus kirchlichen Positionen entlassen wurde, weil er zu kritisch war, was sexuellen Missbrauch angeht. Als 2005 der Vorwurf aufkam, der ehemalige Papst Benedikt XVI., Joseph Ratzinger, hätte Missbrauchsfälle verschleiert, versah ihn US-Präsident George W. Bush sogleich mit Immunität, um ihn vor gerichtlicher Verfolgung zu schützen. Und dass bei Ratzinger vor seinem Papst-Amt – als er noch Kardinal und Präfekt der Glaubenskongregation war – die Einsicht reifte, sexuellen Missbrauch nicht mehr zu verschweigen, war nur dem öffentlichen Druck der Medien geschuldet [21].

Letztlich ist die katholische Kirche was den sexuellen Missbrauch von Geistlichen angeht wie ein Alkoholiker, der seine Krankheit verleugnet. Was sie braucht, sind Reformen, die sich des Zölibats annehmen, weil schon Paulus wusste, dass Menschen ihre sexuellen Impulse schwer unterdrücken können [22]. Man sollte Missbrauch nicht unter den Teppich kehren und Priester bloß versetzen, sondern zukünftige Opfer vor ihnen schützen – und die Täter vor sich selbst. Bis sich die Kirche dieser Fragen und dieses Problems angenommen hat, sollte man den Worten des langjährigen Missbrauchsbeauftragten des Vatikans, Charles Scicluna, folgen: „Alle müssen lernen, Geistlichen nicht blind zu vertrauen“[23]. Amen dazu.



Quellenangaben:

[1] vgl. Claudia Keller: Die Kirche kämpft mit ihrer Sexualmoral, in: Zeit Online, 06.02.2010, http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2010-01/kirche-missbrauch-canisius-kolleg
[2] vgl. Jean Guccione: A Glimpse at the Mind of a Pedophile, in: Los Angeles Times, 11.05.2005, http://articles.latimes.com/2005/may/11/local/me-ogrady11 (“his estimated 25 victims”). 
[3] Barbara Hans: Missbrauch in der Kirche: Was Priester zu Tätern werden lässt, in: Spiegel Online, 07.12.2012, http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/sexueller-missbrauch-in-kirche-bischofskonferenz-stellt-studie-vor-a-871614.html
[4] ebd. 
[5] vgl. o.A.: L.A. Archdiocese to settle suits for $660 million, in: NBCNews.com, 14.07.2007, http://www.nbcnews.com/id/19762878/#.UTYHkTeTeSo
 [6] vgl. Agostino Bono: John Jay Study Reveals Extent of Abuse Problem, in: American Catholic, o.J., http://www.americancatholic.org/news/clergysexabuse/johnjaycns.asp (“with 75 percent of the incidents taking place between 1960 and 1984”). 
[7] vgl. Annette Langer: US-Missbrauchsskandal und Konklave: Kardinal Mahony soll draußen bleiben, in: Spiegel Online, 20.02.2013, http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/missbrauchsskandal-und-konklave-kardinal-mahony-soll-draussen-bleiben-a-884361.html. Siehe hierzu auch: Laurie Goodstein: Sexual Abuse Files Cast Shadow on Los Angeles Cardinal, in: NYTimes.com, 22.01.2013, http://www.nytimes.com/2013/01/23/us/mahony-shielded-abusive-priests-documents-show.html?ref=romancatholicchurchsexabusecases&_r=0 (“Internal church personnel files released this week as part of a civil court case reveal that he [Kardinal Roger Mahony, d. Verf.] and his top adviser knowingly shielded priests accused of child sexual abuse from law enforcement”). 
[8] vgl. Langer, Internet. 
[9] vgl. Matthias Drobinski: Es war einmal ein großer Aufklärer, in: Sueddeutsche.de, 10.01.2013, http://www.sueddeutsche.de/muenchen/sexueller-missbrauch-in-der-kirche-es-war-einmal-ein-grosser-aufklaerer-1.1569979
[10] ebd. 
[11] Daniel Deckers: „Erschütternde Ergebnisse“. Missbrauch in katholischer Kirche, in: FAZ.net, 17.01.2013, http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/missbrauch-in-katholischer-kirche-erschuetternde-ergebnisse-12028299.html
[12] vgl. Keller, Internet. 
[13] vgl. Center for Applied Research in the Apostolate, http://cara.georgetown.edu/CARAServices/requestedchurchstats.html. Wunibald Müller geht davon aus, dass sich die Situation in Deutschland nicht wesentlich von der in anderen Ländern unterscheidet, vgl. Keller, Internet. 
[14] vgl. Hans, Internet. 
[15] ebd.: „Die meisten Geistlichen, die Mädchen und Jungen missbrauchen, sind weder psychisch krank noch pädophil. Zu diesem Schluss kommt die Studie ‚Sexuelle Übergriffe durch Geistliche in Deutschland’. (…) Die Mehrheit der Männer, die sich wegen Missbrauchs verantworten mussten, hatten keine sogenannte sexuelle Präferenzstörung“
[16] Der Priester und Kirchenrechtler Thomas Doyle begründet es in Deliver Us from Evil damit, dass die Kirche im 4. Jahrhundert den Zölibat eingeführt habe, damit das Erbe des Priesters ihr zufalle und nicht seinen Kindern. Siehe hierzu auch Gerhard Mauz: Scheinheilige Erbschaft, in: Spiegel Online, 29.07.2002, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/die-mauz-kolumne-scheinheilige-erbschaft-a-207222.html
[17] vgl. Matthias Kamann: Nicht der Zölibat ist Schuld am Kindesmissbrauch, in: Welt.de, 03.02.2010, http://www.welt.de/debatte/kommentare/article6242363/Nicht-der-Zoelibat-ist-Schuld-am-Kindesmissbrauch.html
[18] vgl. Keller, Internet. 
[19] ebd. 
[20] s. hierzu auch Drobinski, Internet. 
[21] vgl. Nina Baumann: Missbrauch in der Kirche. „Zwei bis drei Fälle am Tag“, in: Focus Online, 04.03.2013, http://www.focus.de/politik/ausland/papst/ober-aufklaerer-packt-aus-missbrauch-in-der-kirche-zwei-bis-drei-faelle-am-tag_aid_932203.html: „Scicluna (der langjährige Missbrauchsbeauftragte des Vatikans, Charles Scicluna, d. Verf.) lobte die Rolle der Medien. ‚Der öffentliche Druck war sehr wichtig’, sagte er. So sei in der Umgebung Ratzingers die Einsicht gereift, dass nichts verschwiegen werden dürfe“
[22] vgl. 1. Korinther 7, 2-5: „Um Unzucht zu vermeiden, soll jeder seine eigene Frau haben und jede Frau ihren eigenen Mann. Der Mann leiste der Frau, was er ihr schuldig ist, desgleichen die Frau dem Mann. (…) Damit euch der Satan nicht versucht, weil ihr euch nicht enthalten könnt.“, zitiert nach der Lutherbibel, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 1999. 
[23] vgl. Baumann, Internet.

Szenenbilder “Deliver Us from Evil“ © 2009 by AV Visionen GmbH.

The crime of the century

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Das einzige was noch schlimmer ist als im Gefängnis zu sitzen, ist wohl, des verurteilten Verbrechens unschuldig zu sein. Andy Dufresne verbrachte in The Shawshank Redemption fast zwei Jahrzehnte unschuldig hinter Gittern, ehe er die Flucht ergriff. Ganz legal ihres Verbrechens wurden dagegen vor zehn Jahren die fünf Männer freigesprochen, die 1989 als “Central Park Five” bekannt wurden. Als Jugendliche zwischen 14 und 16 Jahren sollen sie am Mittwoch, dem 19. April 1989, die damals 28-jährige Investmentbankerin Trisha Meili beim Joggen im Central Park von New York City schwer körperlich verletzt und vergewaltigt haben. Ein Jahr später wurden sie verurteilt – obwohl alle fünf von ihnen unschuldig waren.

Der Dokumentarfilmer Ken Burns widmete sich in The Central Park Five im vergangenen Jahr mit seiner Tochter Sarah Burns und ihrem Mann David McMahon jenem Fall, der 1989 für enormes Aufsehen gesorgt hatte. “A lot of people didn’t do their job”, blickt zu Beginn Jim Dwyer von der New York Times kritisch zurück. Und nimmt dabei auch sich und die Medien nicht von der Kritik aus. In einer Zeit hoher Kriminalität und Rassenspannungen in New York habe das Verbrechen an Meili, damals nur als „Joggerin“ bekannt, für Druck auf die Ermittler gesorgt. Derart hohen Druck, dass sie bereitwillig vier afroamerikanische und einen hispanischen Jugendlichen zu Geständnissen des Verbrechens nötigten.

Ende der 1980er Jahre war New York City laut dem renommierten Bürgerrechtler Al Sharpton “the capital of racial violence”. Einige Jahre zuvor hatte Crack den Big Apple erreicht und die Kriminalitätsrate hochschnellen lassen. New York City wurde “a completely schizophrenic, divided city”, so Dwyer. Der damalige Governeur Mario Cuomo ließ sich sogar zu der Aussage hinreißen: “None of us is safe”. Überfälle standen an der Tagesordnung, die meisten Bürger meldeten sie nicht einmal mehr der Polizei. Am Mittwochabend des 19. Aprils 1989 zog eine Gruppe von rund 30 Jugendlichen durch den Central Park, attackierte Obdachlose und belästigte andere Besucher. “Wilding” nannten die Teenager diese Aktionen.


Unter den Jugendlichen waren auch Antron McCray, Raymond Santana, Kevin Richardson, Yusef Salaam und Korey Wise – jene fünf Teenager, denen man wenige Stunden später die schwere Körperverletzung und Vergewaltigung der Joggerin vorwerfen würde. Über mehrere Stunden wurden die Jugendlichen auf der Wache gehalten. Wegen des Angriffs auf den Obdachlosen, so ihre Vermutung. Stattdessen warfen ihnen die Polizeibeamten die Tat an der Joggerin vor und stellten in Aussicht, sie könnten nach Hause gehen, wenn sie den Vorfall gestehen. Anschließend beschuldigten sich die Teenager gegenseitig – und widersprachen sich folglich nicht nur hinsichtlich des Tathergangs, sondern auch der Fakten.

“If he’d have given me a hundred names”, erzählt Raymond Santana, “I’d have put a hundred people at the crime scene”. Als er Jahrzehnte später sein damaliges Geständnis vorliest, kann er angesichts der Formulierungen nur mit dem Kopf schütteln. “A 14 year old boy doesn’t talk like this.” Doch die Ermittler wollten den Fall schnell klären, eine Vergewaltigung einer weißen Bürgerin durch farbige Teenager, die beinahe in Totschlag endete, erregte zu viel Aufhebens. “It was the crime of the century”, erinnert sich der damalige Bürgermeister von New York, Ed Koch. “Central Park was holy”, so das Ex-Stadtoberhaupt. Dwyer schätzt, es gab Ende der Achtziger “probably six murders a day”. Aber keinen Vorfall wie diesen.

Von den 5.242 Vergewaltigungen die 1989 in New York gemeldet wurden, erhielt keine so viel Aufmerksamkeit wie die von Trisha Meili. Wie sich herausstellte, waren die fünf Jugendlichen schlicht zur falschen Zeit am falschen Ort – und von der falschen Hautfarbe. Ein Jahr später führten die Suggestivgeständnisse zu ihrer Verurteilung, andere Beweise für ihre Schuld gab es nicht. Infolgedessen saßen die meisten von ihnen rund sieben Jahre im Jugendgefängnis, der Älteste, Korey Wise, aufgrund seiner 16 Jahre zur Tatzeit sogar fast zwölf Jahre bei den Erwachsenen. “My faith was gone”, beschreibt Santana, der nach seiner Entlassung auf die schiefe Bahn geriet, mit Drogen handelte und erneut verurteilt wurde.


Dass die fünf Jugendlichen seiner Zeit verhaftet und verurteilt wurden kann als Folge von unglücklichen Umständen und nachlässiger Arbeit gesehen werden. Damit sie nicht zu viel Lärm machten, schickte Santanas Vater die Jugendlichen an jenem Abend in den Central Park. “I feel guilt for it”, gesteht Raymond Santana Sr. mit Tränen in den Augen. Obschon er nicht wissen konnte, was sich wenige Stunden später ereignen würde, fühlt er sich verantwortlich. Hätte die Gruppe an jenem Abend auf das “wilding” verzichtet – nach eigenen Angaben waren McCray, Santana, Richardson, Wise und Salaam bei diesem lediglich Zuschauer –, wären die Teenager anschließend nicht verhaftet und somit verdächtigt worden.

Auf der anderen Seite standen nun die Ermittler, konfrontiert mit einer Vergewaltigung und wahrscheinlichen Tötung. Denn als Meili gefunden wurde, hatte sie 75% ihres Blutes verloren, die Ärzte konnten sich nicht erklären, wie sie noch am Leben war. “She was virtually dead”, sagt Dwyer. Ein derartiges Verbrechen, auch noch verübt im Central Park, in einer Stadt mit Rassenunruhen und hoher Kriminalitätsrate – wer schon mal Polizeiserien wie The Shield gesehen hat, dürfte erahnen, unter welchem Druck die Ermittler in einem solchen Fall stehen. Und dass auch mal Fälle abgeschlossen werden, wenn sie sich abschließen lassen. Selbst wenn nicht alle Fragen dazu passende Antworten erhielten.

Das Handeln der Ermittler und Staatsanwaltschaft im Fall der Central Park Five entschuldigt dies natürlich keineswegs. Dass sich die Geständnisse widersprechen, dürfte sich nicht erst 2003 gezeigt haben. Allerdings – und Dwyer hatte dies bereits selbst eingestanden – waren auch die Medien, Bürger und eigentlich alle, abgesehen von den Familienmitgliedern der Verdächtigen, nicht unschuldig in der Vorverurteilung der Jugendlichen. Die Macht der Masse zeigt sich selten so gut, wie im Fall von The Central Park Five. So war Yusef Salaam der einzige der fünf Teenager, der selbst kein Geständnis abgelegt hat – und dennoch waren die Beschuldigungen der übrigen vier ausreichend gewesen für seine Verurteilung.


Entgegen des recht reißerisch und temporeicher wirkenden Trailers ist die Rekapitulation der Ermittlungen und Verurteilungen der fünf Jugendlichen von Ken Burns eine relativ nüchterne Angelegenheit. Historiker und Soziologen geben nebst Jim Dwyer und anderen Journalisten ebenso Einblicke in den Fall und die damalige Lage der Stadt, wie es vier der fünf Teenager – inzwischen natürlich Männer – bezüglich ihrer Erlebnisse tun. Antron McCray verzichtete aus Gründen der Anonymität darauf, gefilmt zu werden und ist lediglich aus dem Off zu hören. Besonnen und teils emotional wird der Ereignisablauf aufgerollt und nachverfolgt; allerdings erst, nachdem zu Beginn die Unschuld der Fünf etabliert wurde.

Nach ihrem Freispruch hatten diese wiederum eine Klage bei der Stadt New York City eingereicht, die allerdings bis heute nicht vor Gericht verhandelt wurde. Ob sie eine finanzielle Entschädigung erhalten, dürfte zweifelhaft sein. Ihre sieben bzw. elfeinhalb Jahre werden die Central Park Five jedenfalls nie wieder kriegen, ähnlich wie die West Memphis Three. Drei unschuldige Jugendliche aus West Memphis, Arkansas und Protagonisten der Paradise Lost-Trilogie sowie West of Memphis, die 2011 nach 18 Jahren Haft freikamen. Einem Artikel von Liz Webster in The Nation zufolge sind womöglich sechs Prozent aller inhaftierten US-Amerikaner unschuldig – was immerhin über 130 000 Insassen entspräche.

Insofern führt The Central Park Five sehr gut vor Augen, wie mangelhaft die Justiz im Allgemeinen sowie die der USA im Speziellen arbeitet. Zugleich stellt die Dokumentation eine gelungene Zeitreise in die Vergangenheit dar, als die Kriminalität in New York und die Rassenproblematik in den Großstädten – die Unruhen in Los Angeles waren nur drei Jahre später – größer war. Angesichts der Fälle um die West Memphis Three und Central Park Five stellt sich natürlich die Frage, wie viele Häftlinge lediglich aufgrund von Vorverurteilung im Gefängnis sitzen und tatsächlich unschuldig sind. Die Unschuldsvermutung (“innocent until proven guilty”) ist also in vielen Fällen leider ziemlich weit gefasst.


Szenenbilder aus The Central Park Five© PBS International. All Rights Reserved.

An Avalanche of Tenderness

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Vermutlich hat in den 1990er Jahren niemand mehr damit gerechnet, nochmals einen Film von Terrence Malick zu Gesicht zu kriegen. Mit Days of Heaven hatte er sich Ende der Siebziger verabschiedet, was er seitdem wirklich machte, darüber herrscht bis heute Unklarheit. Unter anderem soll er in Frankreich Philosophie gelehrt haben und angesichts von To the Wonder scheint das der Fall zu sein. Denn ähnlich wie sein voransgegangener Film, The Tree of Life, ist To the Wonder autobiographisch von Malicks Leben inspiriert. Insofern kann er als Nachsatz zu diesem gesehen werden [1]. Nicht nur, weil beide Filme von ihrer Inszenierung beinahe identisch sind, sondern auch, weil lediglich ein Jahr zwischen ihnen liegt.

Vorbei die Zeiten, in denen man sechs bis sieben – geschweige denn 20 – Jahre auf einen neuen Film des Texaners warten musste. Für manche kommt das einer Art Kulturschock gleich [2]. Momentan dreht der zurückgezogen lebende Regisseur sogar drei Filme hintereinander. Was einerseits begrüßenswert ist, andererseits jedoch der Magie seiner seltenen Filmkunstwerke etwas den Wind aus den Segeln nimmt. Denn To the Wonder ist nicht nur ein cineastisches Nachbeben zu seinem ambivalent rezipierten Bildorgasmus The Tree of Life, sondern bedient sich auch sonst der Bild- und Sprachpalette Malicks. Zudem macht der Film klar: Wer bis jetzt mit dem Regisseur nichts anfangen konnte, wird dies auch nicht mehr [3].

Eine Handlung ist hier nicht wirklich – und irgendwie doch – vorhanden, allerdings lag dem Film auch kein Drehbuch zu Grunde. Nutzte Malick diese abgesehen von Badlandsohnehin eher als eine Art Leitfaden, beschränkte er sich in To the Wonder, den Darstellern bloße Gedanken und Dialogzeilen zukommen zu lassen. Wichtiger als Text ist in Malicks Filmen ohnehin die Bewegung, sowohl die der Charaktere als auch die der Kamera von Emmanuel Lubezki. Diese schwebt noch mehr als sonst hinter den tanzenden Figuren über Felder und Wiesen, badet sich im Schein der Sonne im gen Himmel gerichteten Blick und wirkt auf eine ätherische Art und Weise irgendwie überall und nirgendwo zugleich präsent.


Darunter zu Beginn des Films in einem Zugabteil in Frankreich, allerdings mit der Qualität einer Handykamera. “Still the most lyrical camera-phone imagery you’ve ever seen”, lobt Ian Freer [4]. Dankbar ist man dennoch, dass sie nach zwei Minuten verschwindet. Festgehalten wird das erste Verliebtsein zweier Figuren, die der Abspann als Neil (Ben Affleck) und Marina (Olga Kurylenko) identifiziert. Ob Zugabteil, Seinebrücke bei Sonnenuntergang oder in der Abtei Mont Saint-Michel auf der gleichnamigen Felseninsel in der Normandie – das junge Paar scheint verliebt. Zumindest Marina, wie sie im obligatorischen Voice-Over verrät. “In love”, flüstert sie darin beim Anblick eines Wandgemäldes. “Forever at peace.”

Mont Saint-Michel, auch „Wunder des Westens“ genannt, bildet hier die einleitende Versinnbildlichung dieser Liebe. Neil und Marina werfen sich romantische Blicke zu, spazieren während der Ebbe durch das die Felseninsel umgebende Wattenmeer. “We climbed the steps to the Wonder”, sagt Marina. Wo, wenn nicht hier, wann, wenn nicht jetzt kann Liebe greifbarer sein? Die aus Osteuropa stammende Frau fühlt sich wie neugeboren. “A spark. I fall into the flame”, berichtet sie. “You brought me out of the shadows. You lifted me from the ground. Brought me back to life.” Die Worte erinnern an Captain Smiths Ankunft in Malicks The New World[5]. “I was a dead man”, sagt dieser darin. “Now I live.”

Später wird die alleinerziehende Mutter einer zehnjährigen Tochter verraten, dass sie mit 17 Jahren bereits geheiratet hat, ihr untreuer Ehemann sie jedoch irgendwann mit dem Kind zurückließ. “I’d never hoped to love again”, beichtet sie stumm und verknüpft ihr Glück fortan direkt mit dem US-Amerikaner. “If you love me there’s nothing else I need”, sagt sie und packt bereitwillig mit Tochter Tatiana (Tatiana Chiline) ihre Sachen als Neil vorschlägt, sie sollen zu ihm nach Amerika ziehen. Das Glück kommt hier nicht in vermeintlich kleinen Dosen, sondern auf einen Schlag. Nichts würde sie dabei von Neil erwarten, versichert Marina: “Just to go a little of our way together”. Was ist die Liebe schon anderes?


Auch hierin findet sich ein wiederkehrendes Motiv in den Werken des Regisseurs. Schließlich sind alle Filme Malicks eine Einladung “to cherish those discrete packages of time that inevitably, come to an end”[6] [7]. Er selbst soll 1985 in Frankreich eine Französin geheiratet und mit sich nach Texas gebracht haben, ehe die Ehe 13 Jahre später zerbrach. So viel Zeit ist Marina und Neil in To the Wonder gar nicht erst vergönnt. Zwar ist die Faszination der beiden Französinnen in Bartlesville, Oklahoma zuerst groß, doch der Alltag holt die Patchwork-Familie schneller ein als ihnen lieb ist. “We need to leave”, schlussfolgert Tatiana dann nach einer halben (Film-)Stunde in der neuen Welt. “There’s something missing.”

In Marina und Neil prallen zwei unterschiedliche Typen Mensch aufeinander. Sie die lebensfroh Tanzende, er dagegen der nüchterne Beobachter [8]. “My sweet love”, darf Affleck eine seiner wenigen Monologzeilen aus dem Off sprechen. “My love. How I loved you.” Nur bemerken davon weder der Zuschauer noch Marina wirklich viel. “I know that strong feelings make you uneasy”, sagt sie über Neil. Der scheint mit ihrem Wunsch nach emotionaler Bestätigung dagegen so überfordert wie mit seinem Beruf als Umweltinspekteur [9]. In Bartlesville überprüft er die Toxikologie des Bodens, der blei- und kadmiumhaltig ist. “Kids are acting strange”, beklagt ein Anwohner Teer in den Wänden und Affleck guckt unschlüssig zurück.

“Loves makes us one”, hatte Marina in Mont Saint-Michel beschwört. “Two. One. I in you. You in me.” Sinngemäß wandte diese Worte schon Pocahontas (Q’Orianka Kilcher) in The New Worldüber sich und Captain Smith an [10]. Nur wollte Neil an dieser Vereinigung nicht vollends partizipieren, Marina und Tatiana wiederum nicht am Leben im Mittleren Westen. Als ihr Visum abläuft, kehrt sie daher zurück nach Frankreich. Der gemeinsame Weg scheint zu Ende beschritten und Neil trifft in Jane (Rachel McAdams) eine alte Freundin aus Jugendtagen wieder. Ihr Schicksal ähnelt dem von Marina, nur dass ihre Tochter verstarb. Nochmals enttäuscht zu werden kann sich jedenfalls auch die verträumte Blondine nicht erlauben [11].


Jane scheint es wieder nach Bartlesville verschlagen zu haben, weil die Ranch ihres Vaters bankrott gegangen ist. Während sie und Neil sich erneut annähern, nimmt sie die Rolle von Marina ein. Sie will Neils Frau werden, glaubt den stummen und abwesend wirkenden Mann zu lieben wie die Französin vor ihr [12]. “I had no faith”, schwebt dessen Stimme später aus dem Off herein. “You knew.” Und auch Jane realisiert nach einer Viertelstunde Filmzeit: “What we had was nothing. (…) Pleasure. Lust”. So schnell wie sie kam, verschwindet sie auch wieder – und blieb doch länger als so manch andere Figur [13]. “All things work together for good”, habe Janes Vater stets gesagt. Bestätigen können es Malicks Charaktere nicht.

Der Regisseur traf selbst nach seiner Scheidung von seiner französischen Frau seine Freundin aus Schulzeiten wieder und heiratete sie. In To the Wonder würfelt er dagegen die Schicksale neu aus. Marina wirkt in Frankreich noch verlorener, Tatiana zieht zu ihrem Vater und ihre Mutter will wider Erwarten doch zurück in die USA. Bevor sie zur Scheinehe mit einem Fremden kommt, geht Neil mit ihr zum Standesamt. “I want to be a wife”, so ihr Wunsch. Da sie in getrennten Betten schlafen, lässt es der Film in seiner zweiten Hälfte offen, ob das Paar seine ursprüngliche Liebe wieder neu entfacht oder ob beiden der Glaube fehlt, dass sie weiterhin jene Stufen zum Wunder beschreiten. Zum Wunder der wahren Liebe.

“What is this love that loves us?”, fragt sich Marina [14]. “That comes from nowhere. From all around.”Ähnlich zweiflerische Fragen stellt die dritte Hauptfigur in Malicks Film, der von Javier Bardem gespielte katholische Pater Quintana. “There is a love that is like a stream that goes dry when rain no longer feeds it”, sagt er in einer seiner Predigten. Aber es gäbe auch eine Liebe, die wie eine Quelle sei, die aus der Erde entspringt. “The first is human love, the second is divine love.” Und die habe ihren Ursprung im Himmel. Dennoch ist Quintana wie Marina ein ruhelos Suchender. Dürstend nach Bestätigung. “Intensely I seek you”, richtet er seine Worte an Gott. “My soul thirsts for you. (…) Will you be a stream that dries up?”


Gleichzeitig ähnelt der Priester in seiner zurückgezogenen Art und Weise wiederum Neil. Eines seiner Gemeindemitglieder will für ihn beten “because you’re so unhappy” und der Fensterputzer fragt ihn, ob er nicht einsam sei, wenn niemand um ihn herum ist. Quintanas Antwort würde wohl lauten: Er ist nie allein in Gottes Gesellschaft. Doch sein trauriger Blick verrät, dass dieser ihn lange nicht mehr besucht hat. “How long will you hide yourself?”, fragt er und meint womöglich sich selbst genauso wie Gott. “Let me come to you. Let me not pretend. Pretend to feelings I don’t have.” Angesichts der Not seiner Gemeinde stellt er die Theodizee-Frage: “Why do you turn your back? All I see is destruction. Failure. Ruin”.

Zugleich dient Quintana als einziger Ansprechpartner für Neil und Marina, die seiner Gemeinde angehören. Seine Gedanken und Predigten gehen mit dem Paar Bildsynergien ein, was der Priester über Spiritualität sagt, lässt sich in die Ehe der beiden lesen. Liebe sei nicht nur ein Gefühl, erklärt Quintana. “Love is a duty.” Man(n) muss seine Frau lieben wie Gott die Kirche liebt. “He doesn’t find her lovely, he makes her lovely”, so der Gottesmann zweideutig. Quintana ist dabei den Menschen näher als Gott. Voller Sehnsucht und Zweifel, wie Marina in ihrer Beziehung und Ehe. Neil hingegen ist als kryptischste aller Figuren fast eher Gott zuzuordnen. Das Objekt der Begierde, dem Marina später gar die Füße küsst.

“Love. Shall we deny it when it visits us?”, hatte sich Captain Smith in The New World gefragt [15]. Während sich Marina, Jane und Quintana nach der Bestätigung ihrer Liebe sehnen, ist Afflecks stoischer Umweltinspekteur ein Enigma. Motive verleihen ihm höchstens die anderen Figuren. Das einzige, was Jesus verdamme, predigt Quintana, sei das Vermeiden von Entscheidungen. “To choose is to commit yourself”, sagt er. “And to commit yourself is to run the risk (…) of failure, the risk of sin, the risk of betrayal.” Laut einigen Inhaltsangaben soll Neil ein gescheiterter Autor sein – wovon sich in To the Wonder natürlich nichts mehr findet. Außer eine Erklärung für seine Angst davor, sich an gewisse Dinge fest zu binden.


Es ist dennoch nachvollziehbar, dass sich mancher mit den skizzenhaften Charakteren schwer tun mag. Peter Travers “found it difficult to maintain interest in anyone”[16] und auch Pinkerton ist sich bewusst, dass die Figuren in Malicks Filmen Entscheidungen wie durch einen angeborenen Prozess treffen, “without reference to or explanation of why or how” [17]. Was Marina und Jane in Neil sehen, kann womöglich nur dadurch erklärt werden, dass dieser eine Projektionsfläche für ihre Sehnsucht nach Liebe darstellt. Am ehesten lässt sich noch mit Pater Quintana identifizieren und seiner Suche nach Gott. “Everywhere you’re present. And still I can’t see you”, klagt er. “I have no experience of you. Not as I once did.”

Die Frage nach Gottes Präsenz ist seit The Thin Red Line in den Werken Malicks verankert. Insofern ist Quintana auf seine Weise ein Stellvertreter des Regisseurs, der nach Pinkertons Mutmaßung in der Sonne seinen Gott ausgemacht hat [18]. Eine gewöhnliche Handlung oder Erzählstruktur – das dürfte Malick-Fans klar sein – darf man von To the Wonder nicht erwarten. Dieser ist “more about mood and moments than plot beats and character arcs”, resümiert Mottram und ergänzt: “this voiceover-driven tale feels so personal you almost feel guilty watching it”[19]. Und dadurch, dass die Figuren kaum miteinander sprechen, sondern mit sich selbst und das Publikum diese Gedanken hört, hat Mottram gar nicht so unrecht.

Jedermanns Sache ist das nicht. Wo es in The Tree of Life zumindest noch kommunikative Interaktion innerhalb der Familie O’Brien gab, verlieren sich die Figuren dieses Mal völlig im Bilderrausch von Lubezki und Malick. To the Wonder sei “a beautifully empty exercise”, schreibt Travers, der im Vergleich The Tree of Life wirken lasse wie G.I. Joe: Retaliation[20]. Für McCarthy besteht der Film aus einer uneindeutigen Szene nach der anderen, “this mostly comes off (…) as visual doodling without focused thematic goals”[21]. Kerstin Decker kritisiert wiederum „ein Film ist kein Andachtsraum“[22] und Anke Sterneborg sieht „nur noch eine diffuse Melancholie über die unerklärliche Flüchtigkeit des Glücks“[23].


Für Brian Orndorf ist es ein wunderschöner Film, mit allen Stilmitteln und abstrakten Interessen von Malick, “yet it never comes alive as a human story”[24]. Selbst Pinkerton gesteht, dass es sich wohl um “Malick’s most nebolous and potentially most divisive film to date” handelt [25]. Die Evolution des Regisseurs ist problemlos an seiner Filmografie auszumachen. Folgte Badlands praktisch noch Wort für Wort dem Drehbuch, um von einem Cutter geschnitten zu werden, fand sich bereits The Thin Red Line erst durch derer drei hinterher im Schneideraum [26]. In The New World waren es schließlich vier Cutter, bei The Tree of Life und nun To the Wonder sogar fünf. Der Fluss der Bilder steht über der „Handlung“.

Wer sich an eine Handlung klammern will, muss diese in den Bildern finden. Sie fangen das Watt während der Ebbe vor Mont Saint-Michel ein und deuten auf die bald über Marina und Neil hereinbrechende Flut hin. Später sehen wir die dunkelhaarige Französin auf einem Jahrmarkt vor Karussells und Achterbahnen – zu einer solchen wird sich auch ihre Beziehung zu Neil entwickeln. „So ungefähr funktionieren Erinnerungen“, schreibt Peter Zander [27]. „Oder Träume. Oder eben Malick-Filme.“[28] Pinkerton meint, Malick filmt nicht Dinge, die hübsch seien, sondern sie würden hübsch, dadurch dass er sie filmt [29]. Und zumindest über die Schönheit von Lubezkis Bildern sind sich – wie immer – eigentlich alle einig.

Passend dazu darf natürlich klassische Musik nicht fehlen, die hier unter anderem durch Rachmaninow, Schostakowitsch, Tschaikowski, Wagner, Haydn und Bach vertreten ist. “For better or for worse – perhaps for neither – the experience exists outside the fashions by which many of us perceive film”, schließt Tom Stoup [30]. Halfyard rät wiederum: “you will get out of the film what you bring into it”[31]. So träumerisch die erste Hälfte von To the Wonder ausfällt, so elegisch ist seine zweite. Was zwischen Neil und Marina einst als – unausgewogene – Hingabe begonnen hatte, scheint nunmehr zur emotionalen Verzweiflung verkommen in einem Film “which is at heart about loving and not feeling that love returned”[32].


Mit der angekündigten „Ode an die Liebe“ hat der Film somit relativ wenig gemein. Am Ende tragen alle Figuren ihre Suche nach Liebe, Erfüllung und Bestätigung weiter, der Film ist eher “a touching portrait of disillusionment, fading fervour and temptation”[33]. Der Ärger einiger Kritiker erklärt sich womöglich allein dadurch, dass die Handlung in der zweiten Filmhälfte noch diffuser wird. Neils Entscheidung für Marina und gegen Jane scheint eher aus einer Art Schuldigkeit geboren, ihre Beziehung und ihr Zusammenleben sind jedenfalls weitaus weniger greifbar als in den vergleichsweise teilhabenden ersten 50 Minuten. Oder hart ausgedrückt: To the Wonder hält mit den anderen Werken Malicks nicht vollends mit.

Das macht ihn natürlich keineswegs zu einem schlechten Film, im Gegenteil: “it’s still a brave, soul-stirring and sensitive work”[34]. Nur – und das ist vielleicht der größte Vorwurf, den man Terrence Malick machen kann oder sogar muss – ist der Film, wenn schon kein Nachsatz zu The Tree of Life und seinem bisherigen Œuvre, doch (zu) oft ein sich wiederholendes Echo früherer Gedanken des Regisseurs. Wie in allen seinen Filmen kommen Flussbette vor, wir sehen Büffel und Gänse wie in Days of Heaven und auch in seiner Philosophie über die Liebe scheint der Texaner sich in einer Sackgasse zu verfangen und lediglich das umzuformulieren, was er seit 15 Jahren über die Tonspur seiner Filme legt [35].

Insofern ist das Ergebnis im Falle von To the Wonder zwar immer noch ein lyrisches Filmpoem, nur eben kein sonderlich originelles. Vielleicht ist Terrence Malicks sechster Film gerade deshalb trotz seiner sperrigen Inszenierung für Nichtkenner seiner Filmografie ideal, da neu und ungewohnt. Der Regisseur selbst befindet sich dagegen wohl am Scheideweg, gerade angesichts dessen, dass in den kommenden Monaten gleich zwei weitere Spielfilme von ihm in den Kinos erscheinen. Allerdings sieht Malick womöglich das Leben auch wie Marinas italienische Freundin Anna (Romina Mondello). “Life’s a dream”, ruft diese aus. “And in a dream you can’t make mistakes.” In einem Jahr werden wir es wissen.



Quellenangaben:

[1] Kurt Loder ordnet den Film auch qualitativ derart ein, vgl. Kurt Loder: To the Wonder and Disconnect, in: Reason.com, 12.4.2013, http://reason.com/archives/2013/04/12/to-the-wonder-and-disconnect: “[The Tree of Life] really did instill a sense of wonder; this one is an afterthought”.
[2] vgl. James Mottram: To The Wonder Review, in: Total Film, 4.2.2013, http://www.totalfilm.com/reviews/cinema/to-the-wonder: “it’s a shock to see him back so swiftly (…) given that the minimum amount of time the distinguished director has taken to make a new movie in the past has been five years”.
[3] Halfyard schreibt vollkommen korrekt: “those unwilling to surrender to his sensual, tactile and languorous method of storytelling are sure to find his storytelling infuriating, even as the narrative in this film is pretty straightforward”, vgl. Kurt Halfyard: TIFF 2012 Review: To the Wonder, in: Row Three, 12.9.2012, http://www.rowthree.com/2012/09/12/61859/.
[4] vgl. Ian Freer: To The Wonder Review, in: Empire.com, o.J., http://www.empireonline.com/reviews/reviewcomplete.asp?FID=137997.
[5] Eine ähnliche Szene gibt es in Days of Heaven, wenn der für todkrank gehaltene Farmer (Sam Shepard) angesichts der Ehe mit Abby resümiert: “You make me feel like I’ve come back to life”.
[6] s. Halfyard, Internet.
[7] Die Endlichkeit ihrer Beziehung kommentierte auch Holly (Sissy Spacek) in Malicks Debütfilm Badlands: “Our time with each other was limited, and each lived for the precious hours when he or she could be with the other”.
[8] Todd McCarthy nennt Afflecks Figur “so remote that he’s essentially a noncharacter in his own drama”, vgl. Todd McCarthy: To the Wonder. Venice Review, in: The Hollywood Reporter, 2.9. 2012, http://www.hollywoodreporter.com/movie/wonder/review/367295.
[9] Seine Berufswahl erinnert an den Karrierewunsch von Linda aus Days of Heaven, die “mud doctor” werden wollte, “checking out the earth underneath”.
[10] “Two no more. One. One. I am”, s. The New World. Auch Sergeant Bell (Ben Chaplin) liefert in The Thin Red Lineähnliche Gedanken: “We. We together. One being. Flow together like water”.
[11] Hier ist es nun Jane, die Pocahontas ähnelt, die nach ihrer unglücklich verlaufenen Romanze mit Smith hinsichtlich John Rolfe (Christian Bale) ebenfalls beschloss: “Once false I must not be again”, ebd.
[12] Beide Beziehungsdarstellungen besitzen “the same paradoxical combination of intimacy and distance”, schreibt Pinkerton. “Implicit in the line: ‘I feel so close to you that I could almost touch you.’”, vgl. Nick Pinkerton: Film of the week. To the Wonder, in: BFI, 22.2.2013, http://www.bfi.org.uk/news-opinion/sight-sound-magazine/reviews-recommendations/film-week-wonder.
[13] Ursprünglich hatte Malick noch Szenen mit namhaften Hollywood-Stars wie Jessica Chastain und Rachel Weisz gedreht. “Reports have it that entire performances – Barry Pepper, Michael Sheen, Amanda Peet – disappeared on the virtual cutting-room floor”, vgl. Pinkerton, Internet.
[14] Ähnlich wie Sgt. Bell in The Thin Red Line: “Where does it come from? Who lit this flame in us?”
[15] Man rufe sich zudem den Dialog zwischen Abby und Bill aus Days of Heaven in Erinnerung. Bill: “I’ve never wanted to fall in love with you.”– Abby: “Nobody asked you to.”
[16] s. Peter Travers: To the Wonder, in: Rolling Stone, 20.4.2013, http://www.rollingstone.com/movies/reviews/to-the-wonder-20130410.
[17] s. Pinkerton, Internet.
[18] ebd. Für Pinkerton evident durch Malicks Hingabe, zur “magic hour” zu drehen: “the manifestation of Malick’s deeply personal conviction (…) that the sun is God”.
[19] s. Mottram, Internet.
[20] s. Travers, Internet.
[21] s. McCarthy, Internet.
[22] s. Kerstin Decker: Philosophisches Kino. Gottes Beleuchtung, in: Der Tagesspiegel, 29.5.2013, http://www.tagesspiegel.de/kultur/philosophisches-kino-gottes-beleuchtung/8273142.html.
[23] s. Anke Sterneborg: Keiner blickt auf Frauen so zärtlich wie Malick, in: Welt.de, 30.5.2013, http://www.welt.de/kultur/kino/article116638256/Keiner-blickt-auf-Frauen-so-zaertlich-wie-Malick.html.
[24] s. Brian Orndorf: To the Wonder, in: Blu-ray.com, 13.4.2013, http://www.blu-ray.com/To-the-Wonder/168889/?show=preview.
[25] s. Pinkerton, Internet.
[26] Und die ursprüngliche Hauptrolle von Adrien Brody (Pvt, Fife) verkam zur Randfigur und Nebenrolle.
[27] s. Peter Zander: Ein filmisches Hohelied auf die Liebe, in: Berliner Morgenpost, 29.5.2013, http://www.morgenpost.de/kultur/berlin-kultur/article116611422/Ein-filmisches-Hohelied-auf-die-Liebe.html.
[28] ebd.
[29] vgl. Pinkerton, Internet.
[30] s. Tom Stoup: TIFF 2012. ‘To the Wonder’ exists outside the perception of cinema, in: Sight on Sound, 11.9.2012, http://www.soundonsight.org/tiff-2012-to-the-wonder-exists-outside-the-perception-of-cinema/.
[31] s. Halfyard, Internet.
[32] s. Pinkerton, Internet.
[33] s. Freer, Internet.
[34] s. Mottram, Internet.
[35] vgl. hierzu [5], [7], [9] bis [11] und [14].

Szenenbilder To the Wonder© Studiocanal GmbH Filmverleih.

A World Equal to Our Hopes

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Mit der Unschuld vom Lande bezeichnet man meist ein unbescholtenes, sich im Naturzustand befindendes naives Mädchen, das Opfer eines listigen Verführers wird. In gewisser Weise widmet sich der Regie-Poet Terrence Malick in seinen Filmen jener Unschuld vom Lande, wenn auch in anderer, genitiver, Hinsicht. Im Land, der Natur, liegt die Unschuld, die von der westlichen Zivilisation verführt wird und ihr zum Opfer fällt. Das Bild des aus dem Garten Eden verstoßenen Menschen durchzieht Malicks Œuvre von Badlandsüber Days of Heaven hin zu The Thin Red Line. Doch in keinem Film thematisierte der Texaner die gescheiterte Rückkehr ins Paradies derart wie in seinem unterschätzten Meisterwerk The New World.

In diesem, einer fiktionalisierten Wiedergabe des Pocahontas-Mythos’, spaltete der Regisseur rund acht Jahre nach seinem weithin gelobten The Thin Red Line– mal wieder – die Kritiker. „Postkartenkino mit etwas Meditationskolorit“, nannte Thomas Groh damals The New World[1], Andreas Busche schrieb in der Taz von „mythopoetischem Schmarrn“[2] und für den Kunsttheoretiker Klaus Theweleit mutierte Malicks Film „zum kolonialistischen Softporno“[3]. Positiver wurde The New World dagegen im englischsprachigen Ausland aufgenommen. So erachtete der Regisseur Mark Cousins ihn als “cinematic masterclass” und schrieb, der Film “went beyond cinema”[4]. Andere Meinungen waren noch überschwänglicher.

Für John Patterson überdauert der Film nicht nur das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts [5], sondern “with The New World cinema has reached its culmination”[6]. Matt Zoller Seitz beschrieb sich weniger als Fan den als Jünger von Malicks Werk und nannte dieses “this era’s 2001: A Space Odyssey[7]. Entsprechend bemerkte Doris Kuhn, der Film werde „entweder verdammt oder glorifiziert“[8], während Adrian Martin daran erinnerte, dass keines von Malicks Werken bei seinem Kinostart einhellig gut aufgenommen wurde [9]. Aktuell wurde jedoch nur sein jüngster – und nicht minder missverstandener – To the Wonder bei Metacritic wie Rotten Tomatoes noch schlechter von Kritikern rezipiert [10].

Wieso The New World nun gerade bei deutschen Rezensenten derart schlecht abschnitt, wo der Film doch seinen drei Vorgängern inhaltlich wie inszenatorisch auf dem Pfad folgt, bleibt unverständlich. Vielleicht übertrieb es der Regisseur mit seiner Darstellung des Pocahontas-Mythos’, den er sich für seine eigene Philosophie zu Nutzen macht. “Malick explores the ways in which history, legend and ideology combine to produce possibilities for a pluralistic ‘worldview’”, schrieb James Morrison [11]. Insofern erzählt Malick weniger die Geschichte der ersten Kolonie Jamestown, von John Smith und seiner Begegnung mit der Powhatan-Prinzessin Pocahontas, sondern bedient sich dieser als Mittel zum Zweck.

Als Handlungsrahmen dient die Ankunft der ersten britischen Kolonialisten um Captain Newport (Christopher Plummer) in Virginia 1607 und ihre Gründung von Jamestown. Zuerst in Einklang mit dem amerikanischen Ureinwohner-Stamm der Algonquin lebend, tritt Newport die Heimreise an, um Lebensmittelnachschub für die Kolonie zu besorgen. In seiner Abwesenheit überlässt er Jamestown in den Händen von Captain John Smith (Colin Farrell), der später flussaufwärts den Kontakt mit den Algonquin sucht. Deren Häuptling (August Schellenberg) nimmt Smith in seiner Mitte auf, um dessen Motive nachzuvollziehen und lässt ihn in der Obhut seiner noch jugendlichen Tochter Pocahontas (Q’Orianka Kilcher).

Pocahontas selbst ist ebenfalls eine Repräsentation der eingangs erwähnten Unschuld vom Lande, da “by virtue of her age and gender an innocent”[12]. Ähnlich wie in Badlands und Days of Heaven ist es mit ihr die naive-kindliche Mädchenfigur, die Malick als (weibliche) Erzählstimme auswählt [13]. Sekundär dazu hören wir auch von Colin Farrells Charakter das Gros seiner Gedanken aus dem Off, in gewisser Weise dienen aber Pocahontas und Smith als zwei Stimmen derselben Person – zumindest in Malicks pluralistischer Deutung. Beide sind, wie alle seine Figuren, auf der Suche nach dem Natur- und Urzustand [15]. Pocahontas erscheint nicht weniger ziellos als Smith, trotz ihrer naturalistischen Art.

Gleich zu Beginn sehen wir sie inmitten eines Flusses, die Erde als „Mutter“ ansprechend, nach der sich Pocahontas sehnt. “How shall I seek you? Show me your face”, sagt sie und fragt zu einem späteren Zeitpunkt: “Mother, where do you live?”. Ähnliche Hinterfragungen kennt man zuletzt aus The Tree of Life oder To the Wonder, in denen die Figuren sich mit ihren Fragen an Gott wenden. Gott und Mutter Erde sind in Malicks Universum dasselbe, schlicht der Ursprung des menschlichen Daseins, in dessen Schoß sich diese wieder sehnen. “You, the great river that never runs dry”, sinniert Pocahontas. “We rise from out of the soul of you.” Mit keinem seiner Filme ist Malick wohl so nah an Ralph Waldo Emerson.

“Spirit is the Creator”, schrieb dieser [14]. Und wie Pocahontas ist auch Smith auf der Suche nach dem Urgeist. “What voice is this that speaks within me?”, fragt er sich. “Guides me towards the best?” In ihm drückt Malick am stärksten seine emersonische Haltung aus. Denn es ist der vermeintliche Meuterer Smith, der buchstäblich in Ketten jene neue Welt betritt und in ihr (wieder) seine Freiheit erlangt. “I was a dead man. Now I live”, sagt er selbst und sieht sich im “fabled land” angekommen. “There life shall begin. A world equal to our hopes. A land where one might wash one’s soul pure. Rise to one’s true stature. We shall make a new start. A fresh beginning. (…) Men shall not make each other their spoil.”[16]

Endlich scheint der ruhelose und glücklose Smith am Ziel angelangt, inmitten jener neuen Welt, fern seiner eigenen Kultur [17]. Die Algonquin empfindet der britische Soldat als sanft, wohlgesinnt, liebevoll, vertrauensvoll, jede Arglist oder Betrug vermissend und Worte wie Lüge, Wiedergutmachung, Gier und Neid nicht einmal im Wortschatz tragend. “Real what I thought a dream”, gibt sich Smith so erstaunt wie bewundernd. Seine – und damit natürlich Terrence Malicks – verklärte Darstellung der Algonquin kritisierte Robert Silverman dann entsprechend als “idealisation and infantilisation, not without New Age spirituality, and at times (..) too close to Karl May and [Henry Wadsworth, Anm. d. Verf.] Longfellow”[18].

Smith bestaunt das Powhatan-Dorf ebenso wie Private Witt (James Caviezel) acht Jahre zuvor die Eingeborenen in The Thin Red Line[19]. Beide Männer sind Brüder im Geiste wie alle von Malicks Figuren ein und dieselben Charaktere in der immer gleichen Handlung zu sein scheinen [20]. Und ähnlich wie Witt wird auch Smith das Paradies abhanden kommen und er von der Realität wieder eingeholt werden. Auf den Ausflug in das harmonisch-schöne Dorf der Algonquin wartet die Trost- und Hoffnungslosigkeit von Jamestown, wo der Wahnsinn und der Hunger die Menschen zum Kannibalismus trieben. Ein gewollter Kontrast, der die beiden Zivilisationsideologien aufs Schärfste im Widerspruch zueinander zeigt [21][22].

Ein Kontrast, der auch Smith bewusst wird. “Cannot walk two paths at once”, realisiert er, “ride two horses”. Es zeigt sich, dass er weiterhin der Ruhelose ist. “It was a dream. Now I am awake.” Mit der Ankunft der Kolonialisten hat der Schatten Einzug ins Licht erhalten, das verloren geglaubte Paradies ist somit erneut korrumpiert [23]. In seiner Ruhelosigkeit reißt Smith dann Pocahontas aus der Harmonie. Sie hat zuvor den Briten als neuen Fokus ihres Lebens ausgemacht. “Two no more. One. One. I am”, schwärmt die Jugendliche. “You flow through me like a river”, sagt sie über Smith und versieht ihn mit der Metapher, die sie zu Beginn von The New World noch der Urmutter zugesprochen hatte.

Die Unschuld vom Lande wird nun enttäuscht von ihrem Verführer. Dieser ist zwiegespalten, kann weder dem Bild seiner Geliebten, noch seiner Landsleute entsprechen. Als Ausweg dient ihm nur ein weiterer vermeintlicher Neuanfang, “exchange this false life for a true one”. Den Vorschlag von Pocahontas, gemeinsam zu fliehen und sich eine „neue“ Welt zu suchen, verlacht Smith. “Where would we live? On a tree top?”, liefert er eine zynische Analogie zu Kit und Hollys Waldausflug in Badlands. “Is this the man I loved? (…) Where are you, my love?”, dringt die Stimme einer verzweifelten Pocahontas aus dem Off herein. Ihre Liebe endet am Ende so unglücklich, wie all jene Lieben in Malicks Filmen [24].

In jener Liebesgeschichte – weniger eine Geschichte über die Liebe von Pocahontas zu Smith als vielmehr eine über die Sehnsucht nach Liebe – findet sich der Hauptaspekt von The New World. Was außerhalb des Zusammenspiels der beiden Hauptfiguren geschieht, erfährt das Publikum nur nebenbei. Als wären die Charaktere nicht wirklich Teil jenes Geschehens [25]. Für die Kolonisation Virginias und den daraus resultierenden Genozid an den Ureinwohnern interessiert sich der Film kaum, was allerdings nicht bedeutet, dass er es gänzlich ignoriert. Zwischen den Zeilen führt Malick seine Kritik und Interpretation ein, allen voran natürlich die Gier des weißen Mannes nach Land und Reichtum.

Für Smith ist monetärer Reichtum “the source of all evil” und auch Emerson schrieb schon: “he who knows what sweets and virtues are in the ground, the waters, the plants, the heavens, and how to come at these enchantments, is the rich and royal man”[26]. Wie ein Zeitsprung gegen Ende jedoch verdeutlichen wird, vermochte Smith trotz all jener Jahre abseits von Virginia und Pocahontas nicht, seine Passage nach Indien zu finden. Er ist auch zum Schluss noch der Ruhelose, mit später Einsicht, dass er sein Glück bereits gefunden hatte [27]. Nicht unähnlich zu Pocahontas, die zwar in dem Tabakfarmer John Rolfe (Christian Bale) einen neuen Mann und zugleich Vater ihres Sohnes findet, aber sich selbst verliert.

“You have gone away with my life”, heißt es von ihr als Smith sie verlässt. Nachdem sie, von ihrem Volk verstoßen, als Geisel nach Jamestown verkauft wird, legt sie ihren Namen – den der Zuschauer erst im Abspann erfährt – ab und adoptiert mit ihrer Taufe als Rebecca die Kultur der Kolonialisten. Die Unschuld der Figur und damit auch die Virginias ist erschüttert. Smith, der Pocahontas’ Liebe hatte, sie aber nicht wollte, wird nun abgelöst von Rolfe, der Rebeccas Liebe will, sie aber nicht haben kann. “Once false I must not be again”, schwört sich die junge Frau, die sich dann doch dem Farmer öffnet. Ihre Assimilation wird komplettiert durch den Schlussbesuch in London. Die „alte“ Welt wird nun zur neuen Welt.

Die Suche nach dem Paradies und dem Urzustand ist für die Figur somit vorbei, “there is no going back, no question of any ‘return to nature’”[28]. Auf Smith wartet weiter seine Suche, auf Rebecca der unerwartete Tod. Mit ihr stirbt zugleich die Unschuld der Natur, die eigentliche Hauptfigur in The New World[29]. In der Rezeption des Films unterscheidet sich wiederum seine Deutung. Für Morrison behandelt er “the prospect of cultural exchange, through mutual education and sympathetic consort[30], bei Brett McCracken dagegen die menschliche Anpassungsfähigkeit. The New World is about (…) pushing on amidst hardship, pain, suffering, and striving to make the best of one’s circumstance”[31].

Diesbezüglich spiegelt Pocahontas für McCracken auch Amerika wider, “an ever changing, flexible experiment that must adapt to survive, concede setbacks and allow for dissent and frustration in order to move forward”[32]. Konträr dazu ließe sich die Adaption Pocahontas aber auch als Aufgabe ihrer Kultur zu Gunsten der Kultur der westlichen – oder in diesem Fall: östlichen – Zivilisation lesen. Dementsprechend repräsentiert nicht Pocahontas Amerika, sondern Jamestown, das seine Kultur anderen Zivilisationen aufzwingt und sie zur Assimilation zwingt. Die Entscheidung von Pocahontas zur Adaption ist durchaus aus ihrem Überlebenswillen geboren, dieser ist jedoch menschlich und nicht amerikanisch.

“I have two minds”, sagt Pocahontas an einer Stelle. “What was I? What am I now? (…) Love is unbound by limits. This love is like pain. I am… I shall be… yours.” Ihre zwei Seelen lassen sich einerseits als ihre Identitäten Pocahontas, die Algonquin, und Rebecca, die Kolonialistin, verstehen. Aber auch als ihre Liebe zu Smith, mit dem sie sich verschmolzen glaubt. Letztlich aber auch zu Gott beziehungsweise Mutter Erde. Ein philosophisches Triptychon von Malick, dessen Figuren in einander nur die Liebe zum Leben suchen [33] und die Rückkehr in einen harmonischen Urzustand, die nicht mehr möglich scheint [34]. Für Ekkehard Knörer ist der Film dann Malicks „tota allegoria der Unschuld der Welt an ihrem (...) Ursprung“[35].

Jener Ursprung liegt natürlich in der Natur, denn “nature never wears a mean appearance”[36]. Zwar treibt für Busche „der Kontrast aus Hypernaturalismus und ästhetischer Überhöhung (..) den Wäldern jede Natürlichkeit aus“[37], aber Emerson schreibt “the beauty of nature must always seem unreal and mocking”[38]. Ins Extrem treibt Malick den Verstoß aus dem Paradies dann in England, “a site of grotesque de-naturalisation”[39]. Natur findet sich hier nur noch im Garten und auch dort nur „gezähmt“ und getrimmt. Schlussendlich sind die Figuren von Pocahontas und Smith ihrem Ziel weiter entfernt als zu Beginn des Films, entweder ruhelos oder tot und damit der Tradition des Regisseurs folgend.

Dass der Texaner sich in seiner filmischen Botschaft und Inszenierung wiederholt [40], ist inzwischen nichts Neues mehr und wurde speziell in To the Wonder deutlich. In The New World bedient sich Malick jedoch gezielt eines allseits bekannten Mythos. Sein Film ist für Zoller Seitz weniger eine Geschichte denn eine Erfahrung, “a vibe, a particular way of thinking about history and drama”[41], und für Patterson “a bottomless movie, almost unspeakably beautiful and formally harmonious”[42]. In Verbindung mit den grandiosen Bildern von Malicks nunmehrigem Stamm-Kameramann Emmanuel Lubezki ist The New World in bestem literaturwissenschaftlichen Sinne als „naiv“ zu bezeichnen [43].

Zugleich ließe sich der Film selbst ebenfalls als die Unschuld vom Lande lesen, unbescholten und naiv ein Opfer seiner Kritiker geworden. “For a prestige picture it was booked with what seemed like reluctance, minimally, resentfully”, erinnert sich Cousins [44]. Dabei ist wohl keiner von Malicks wenigen Filmen derart träumerisch und märchenhaft, zugleich jedoch so konkret im Abhandeln der ewigen Fragen seines Regisseurs. Vielleicht bedarf es noch mehr Zeit, um The New World jene Anerkennung zu bescheren, die der Film verdient. Letztendlich wird aber auch der Zuschauer zur selben Erkenntnis gelangen wie Smith am Ende des Films: “I thought it was a dream… what we knew in the forest. It’s the only truth”.



Quellenangaben:

[1] Thomas Groh: The New World, in: F.LM – Texte zum Film, 15.02.2006, http://www.f-lm.de/2006/02/15/berlinale-2006-wettbewerb-the-new-world-terrence-malick-usa-2005/.
[2] Andreas Busche: Die Unschuld der Gräser, in: Taz.de, 02.03.2006, http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2006/03/02/a0158.
[3] Klaus Theweleit: Kolonialistischer Softporno, in: Zeit.de, 09.02.2006, http://www.zeit.de/2006/07/Pocahontas/komplettansicht.
[4] Mark Cousins: Praising The New World, in: Hannah Patterson (Hrg.): The Cinema of Terrence Malick. Poetic Visions of America, New York/London ²2007, S. 192-198, hier S. 193.
[5] vgl. John Patterson: The New World. A misunderstood masterpiece?, in: The Guardian, 10.12.2009, http://www.guardian.co.uk/film/2009/dec/10/the-new-world-terrence-malick: “when every other scrap of celluloid from 2000-2009 has crumbled to dust, one film will remain (…) and that film is The New World”.
[6] ebd.
[7] Matt Zoller Seitz: Just Beautiful, in: Slant Magazine, 25.01.2006, http://www.slantmagazine.com/house/2006/01/just-beautiful/.
[8] Doris Kuhn: Sexappeal, mal ernsthaft, in: Sueddeutsche.de, 17.05.2010, http://www.sueddeutsche.de/kultur/im-kino-the-new-world-sexappeal-mal-ernsthaft-1.436309.
[9] vgl. Adrian Martin: Approaching The New World, in: Hannah Patterson (Hrg.): The Cinema of Terrence Malick. Poetic Visions of America, New York/London ²2007, S. 212-221, hier S. 218: “no Malick film was received unanimously well at the moment of its initial release”.
[10] The New World erhielt bei Metacritic 69/100 Punkte und bei Rotten Tomatoes 61%, To the Wonder wiederum 58/100 bei Metacritic und 42% bei Rotten Tomatoes, vgl. http://www.metacritic.com/person/terrence-malick?filter-options=movies und http://www.rottentomatoes.com/celebrity/terrence_malick/ (Stand: 07.08.2013).
[11] James Morrison: Making Worlds, Making Pictures. Terrence Malick’s The New World, in: Hannah Patterson (Hrg.): The Cinema of Terrence Malick. Poetic Visions of America, New York/London ²2007, S. 199-211, hier S. 200.
[12] Anne Latto: Innocents Abroad. The Young Woman’s Voice in Badlands and Days of Heaven, with an Afterword on The New World, in: Hannah Patterson (Hrg.): The Cinema of Terrence Malick. Poetic Visions of America, New York/London ²2007, S. 88-102, hier S. 98.
[13] Unter anderem Latto kritisierte, dass Pocahontas’ Erzählstimme sich entgegen des von Malick angestrebten Authentizitätsanspruchs seines Films statt Algonquin der englischen Sprache bedient, ebd., S. 99: “we may question why her narration was not in her native tongue (…) this remains a problem”.
[14] vgl. hierzu Ron Mottram: All Things Shining. The Struggle for Wholeness, Redemption and Transcendence in the Films of Terrence Malick, in: Hannah Patterson (Hrg.): The Cinema of Terrence Malick. Poetic Visions of America, New York/London ²2007, S. 14-26, hier S. 15: “At the heart of all (..) films is an Edenic yearning to recapture a lost wholeness of being, and idyllic state of integration with the natural and good both within and without ourselves”.
[15] Ralph Waldo Emerson: Nature (1836), in: Ders.: Nature and Other Essays, Mineola 2009, S. 1-33, hier S. 11.
[16] vgl. hierzu Ralph Waldo Emerson: Nature (1844), in: Ders.: Nature and Other Essays, Mineola 2009, S. 35-47, hier S. 35: ”At the gates of the forest, the surprised man of the world is forced to leave his city estimates of great and small, wise and foolish (…) here is sanctity which shames our religions, and reality which discredits our heroes” sowie S. 36: “How easily we might walk onward into the opening landscape, absorbed by new pictures and by thoughts fast succeeding each other, until by degrees the recollection of home was crowded out of the mind, all memory obliterated by the tyranny of the present, and we were led in triumph by nature”.
[17] “How many lands behind me? How many seas?”, sinniert Smith eingangs. “The fortune never my friend.”
[18] Robert Silverman: Terrence Malick, Landscape and ‘What is this war in the heart of nature?’, in: Hannah Patterson (Hrg.): The Cinema of Terrence Malick. Poetic Visions of America, New York/London ²2007, S. 164-178, hier S. 176.
[19] Erneut kommt einem Emerson in den Kopf: “In the woods is perpetual youth (..) these plantations of God. (…) In the woods, we return to reason and faith. There I feel that nothing can befall me in life – no disgrace, no calamity (…) all mean egotism vanishes (…) I am nothing. I see all”, s. Emerson (1836), S. 3.
[20] siehe hierzu auch Cousins, S. 197: “Each time [Malick] goes away from our screens, he seems to unlearn what life has taught him and start again with new characters”.
[21] vgl. Morrison, S. 200: “Malick shows how the inexpressibly violent becomes intertwined with the provisionally ‘beautiful’”.
[22] Eine Erklärung bietet Emerson: “Cities give not the human senses room enough”, s. Emerson (1844), S. 36.
[23] vgl. hierzu auch Benjamin Strong: More Than Just a Pretty Picture. The subtle greatness of Terrence Malick’s The New World, in: Slate, 26.05.2006, http://www.slate.com/articles/arts/dvdextras/2006/05/more_than_just_a_pretty_picture.html: “The achievement of The New World is not to evoke a paradise lost, but to conjure the terrible beauty of the one we remain intent on destroying”.
[24] vgl. Kit und Holly in Badlands, Abby und Bill/der Farmer in Days of Heaven, Private Bell und seine Frau in The Thin Red Line, mit Abstrichen Mr. und Mrs. O’Brien in The Tree of Life sowie Neil und Marina/Jane in To the Wonder.
[25] vgl. Martin, S. 213: “What makes Malick’s characters so ghostly is the sense that they scarcely seem to belong inside the stories that carry them along”.
[26] Emerson (1844), S. 37.
[27] “Did you find your Indies, John?”, fragt ihn Pocahontas bei ihrem Wiedersehen. Smith erwidert daraufhin: “I may have sailed past them”.
[28] Morrison, S. 209.
[29] “While in previous films Malick’s nature imagery often appeared in dissociated interludes between narrative segments, here it is part of the narrative sequence”, schreibt Morrison (ebd., S. 202). Auch Roger Ebert bemerkt, Malick “places nature in the foreground, instead of using it as a picturesque backdrop as other stories might”, s. Roger Ebert: The New World, in: RogerEbert.com, 19.01.2006, http://www.rogerebert.com/reviews/the-new-world-2006.
[30] Morrison, S. 205.
[31] Brett McCracken: The New World, in: The Search, 14.05.2011, http://stillsearching.wordpress.com/2011/05/14/the-new-world/.
[32] ebd. Für Anne Latto zeigt Pocahontas mit ihrem Englandbesuch “she is able to enact whatever role is required of her, regardless of clothes or name” (Latto, S. 100).
[33] vgl. Mottram, S. 23: “The film itself can be seen as the song of the land that Pocahontas prays for”.
[34] vgl. Kuhn, Internet: „Man spürt seine Sehnsucht nach einem Paradies, seine Trauer über dessen Verlust“.
[35] Der Film sei „die Darstellung der Unschuld, und zwar am Nullpunkt der amerikanischen Zivilisation, wie wir sie kennen (…) Was Malick inszeniert ist eine tota allegoria der Unschuld der Welt an ihrem, oder jedenfalls: einem, über alles historisch Besondere eben aufs Grundsätzliche hinausweisenden Ursprung“, s. Ekkehard Knörer: Terrence Malick. The New World, in: Jump Cut, 2006, http://www.jump-cut.de/berlinale2006-thenewworld.html.
[36] Emerson (1836), S. 2.
[37] Busche, Internet.
[38] Emerson (1844), S. 39.
[39] Morrison, S. 203.
[40] vgl. Kuhn, Internet: „Man weiß also, was er liebt, was er kann, was er zeigen wird, wenn er eine der seltenen Gelegenheiten nutzt, wieder einen Film zu machen“. Siehe auch [20].
[41] Zoller Seitz, Internet.
[42] Patterson, Internet.
[43] Das heißt „in vollem Einklang mit Natur und Wirklichkeit stehend“, s. http://www.duden.de/rechtschreibung/naiv#Bedeutung2.
[44] Cousins, S. 192.

Szenenbilder The New World© Entertainment In Video.

É Cosa Una Vibration

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Kaum einem Regisseur gelang derart gekonnt der Blick auf die High Society wie Federico Fellini, kulminierend in seinem Meisterwerk La dolce vita. Darin schlawenzelt Marcello Mastroianni als Klatschreporter in Episoden durch Roms Hautevolee, hier und dort Affären mitnehmend und sich letztlich im Dschungel der Großstadt in sich selbst verlierend. Fellinis Landmann Paolo Sorrentino schickte sich dieses Jahr mit La grande bellezza an, eine Hommage an seinen italienischen Kollegen zu erschaffen, die nicht nur dank der musikalischen Untermalung von Zbigniew Preisner zudem an die jüngsten Filme von Terrence Malick erinnert. Und ein Film, der Fellini und Malick vereint, kann nur eine große Schönheit sein.

Hier spielt Toni Servillo den Kolumnisten und Schriftsteller Jep Gambardella, der zu Beginn des Films in einer Geburtstagsfeier, die beinahe Gatsby’sche Ausmaße erfährt, sein 65. Lebensjahr begeht. Innerhalb des Films wandert Jep von einer Party zur nächsten, wenn er nicht gerade seinen engsten Freundeskreis auf seiner Terrasse – mit Blick aufs Kolosseum – empfängt oder sich mit jüngeren Frauen verlustiert. Erschüttert wird Jeps “dolce vita” durch die Nachricht, dass Elisa, jene Frau, die ihn vor Jahrzehnten entjungfert hat, verstorben ist. Nun verstärkt über sein Leben, die Liebe und jene Nacht mit Elisa reflektierend, avanciert Jep selbst mehr und mehr zu einer dieser verlorenen Figuren im Nachtleben von Rom.


Dies wiederum geschieht in kleineren Episoden, die jedoch harmonischer als bei Fellinis Magnum Opus ineinanderfließen. Wieder und wieder kehrt die Handlung jedoch zu Jeps Clique zurück, eine illustre Gesellschaft vermeintlich Gescheiterter. So wie Romano (Carlo Verdone), der verzweifelt eine Schauspielerin zu beeindrucken versucht, indem er ein Theaterstück auf die Bühne bringt. Oder Stefania (Galatea Ranzi), eine Autorin, die inzwischen für Dokutainment-Programme schreibt und die Erziehung ihrer Kinder ihren Angestellten überlässt. Jep selbst, der vor langer Zeit einen Roman schrieb, auf den jedoch nie ein Nachfolger folgte, nimmt sich aus dieser Gruppe Gescheiterter nicht aus.

“We are all on the brink of despair”, klärt er Stefania bei einem demaskierend ehrlichen Terrassen-Gespräch auf. Jep selbst blickt hinter den Mummenschanz der Hautevolee – übt ihn jedoch zugleich genüsslich aus. Beispielsweise als später eine Figur stirbt und Jep ihre Beerdigung zur eigenen sozialen Selbstdarstellung missbraucht – was scheinbar selbst an ihm daraufhin nicht spurlos vorbeigeht. In dieser Gesellschaft der High Society sticht die Stärke von La grande bellezza zumeist heraus. So auch als Jep eine Performance-Künstlerin interviewt, die von Vibrationen spricht, diese jedoch nicht erklären kann. Eine aufgesetzte Intellektualität, die Jep auch in seinem Freundeskreis genüsslich dekonstruiert.


Aber wer ernst genommen werden will, muss sich selbst ernst nehmen – so sagt es Jep jedenfalls Romano. Für den Kolumnisten allerdings keine Option und das obschon er von sich sagt, er sei “destined for sensibility”. Einfühlsamkeit und Absurdität liegen bei Sorrentino hier jedoch nah beieinander. “The best people in Rome are the tourists”, ätzt Jep in einer Szene abschätzig. Wie passend, dass der Film mit einer solchen Gruppe japanischer Besucher begann, von denen einer dann urplötzlich tot zusammenbricht. Überwältigt von Roms verkapitalisierter Kultur? Umso passender der kurz darauf folgende Schwenk zu Jeps exaltierter Geburtstagsfeier, die uns erstmals einige der Protagonisten präsentiert.

Diese fühlen sich nicht von ungefähr wie vergessene Charaktere der Fellini-Ära an. “The old is better than the new”, heißt es an einer Stelle trefflich. Sie alle sehnen sich nach einer verblichenen Zeit zurück, perfekt eingefangen in einem Episodenabschluss gegen Ende, wenn der Graf und die Gräfin Colonna inzwischen ärmlich unter ihrer alter Wohnung hausen, die zum Museum über ihre Familie umfunktioniert wurde. Das Ehepaar Colonna hält sich nunmehr mit gelegentlichen Auftritten bei Dinner-Partys über Wasser – notfalls auch als Familienmitglieder eines Clans ausgebend, mit dem man Jahrhunderte lang verfeindet war. Sie haben wie auch die anderen Figuren den Wandel der Zeit nicht überstanden.


Mal mehr, mal weniger deutlich zitiert Sorrentino dabei Fellini. Zum Beispiel wenn Jep einen abendlichen Spaziergang mit seiner neuen Bekanntschaft Orietta (Isabella Ferrari) macht und dabei an einen Dialog zwischen Marcello Mastroianni und Anouk Aimée aus La dolce vita erinnert. Welcher Arbeit sie nachgehe, will der Schriftsteller wissen. “Me? I’m rich”, entgegnet Orietta. “Great job”, erwidert Jep. Ähnlich zitatenreich gerät ein späterer Ausflug während einer Party mit der Stripperin Ramona (Sabrina Ferilli) in verschiedene Kunstgemächer der Stadt, inklusive einem Zwischenstopp bei einem Kartenspiel dreier Prinzessinnen. Oder die finale Ankunft einer 104-jährigen Ordensschwester à la Mutter Theresa.

Der Humor schwingt dabei subtil zwischen den Zeilen mit, darunter wenn ein junges Mädchen, allem Anschein nach ein Kunstprotegé, auf einer Party von seinen Eltern genötigt wird, live ein Kunstwerk zu erschaffen. Sind die Figuren und die Handlung hierbei Fellini entlehnt, erinnert Preisners Musik, aber auch die Kameraarbeit von Luca Bigazzi an Terrence Malick. Die visuelle Begleitung einer Nonne, die im Garten mit Kindern spielt und direkt von Jep auf seiner Terrasse überblickt wird, erhält so ihre ganz eigene Magie. Audiovisuell ist La grande bellezza somit nicht weniger ein Genuss als narrativ, selbst wenn sich in der zweiten Hälfte bei fast zweieinhalb Stunden Laufzeit leichte Längen zeigen.


Immer wieder dringt dabei die Erinnerung an Elisa (Anna Luisa Capasa) herbei, die laut ihrem Mann in ihren Tagebüchern stets nur von Jep sprach – und das, obwohl beide damals lediglich eine Affäre miteinander hatten. Vielmehr stellt Elisa als personifizierte “grande bellezza” ein Fenster in die Vergangenheit dar, in jene verblichene Zeit, der die Figuren – darunter auch Jep – nachtrauern. Exemplarisch fängt Sorrentino dies auch in einer Szene ein, als Jeps Chefredakteurin Dadina (Giovanna Vignola) ihn als ‘Geppino’ anspricht, was diesen fast zu Tränen rührt. Umso beeindruckender ist da natürlich Ordensschwester Maria (Sonia Gessner), die mit ihren 104 Lebensjahren jedem Wandel der Zeit zu trotzen scheint.

“Things are too complicated to be understood by one individual”, heißt es an einer Stelle. Auch Jep scheint dies im Verlauf des Films zu realisieren, wenn unter anderem Giraffen vor seinen Augen verschwinden und sich sein Nachbar als jemand ganz anderes entpuppt als von dem Kolumnisten geahnt. Federico Fellini sagte einst: “It’s not what we say but how we say it that matters”. Mit La grande bellezza gelang seinem Landsmann und Kollegen Paolo Sorrentino nicht nur eine “omaggio bellissima” zum Œuvre Fellinis, sondern zugleich eine “omaggio alla bellissima”. Und so ist sein Film vielleicht der kunstvollste des Jahres, auf jeden Fall jedoch einer seiner besten und unterhaltsamsten. Einfach eine große Schönheit.


Szenenbilder “La grande bellezza”© DCM Film Distribution. All rights reserved.

Der dreifache Tod des Feiv’ke Schwarz

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„Ich glaube, dass für jeden Juden – noch viel mehr für die Generation, die den Holocaust mitgemacht hat – die Begegnung mit Deutschland immer eine besondere Begegnung ist“, sagte Regisseur Dror Zahavi in einem Interview mit dem Ersten zu seiner Adaption von Marcel Reich-Ranickis Biografie. „Als würde man dem Geist – diesem Dämon – ins Gesicht gucken und versuchen herauszufinden, wie so etwas passieren konnte.“ Die Rückkehr ins Land der Täter ist verständlicherweise wohl nur für wenige Shoa-Überlebende oder deren Nachfahren erträglich. Zu groß ist der Schmerz, den der Verlust von geschätzt 5,6 Millionen Opfern hinterlassen hat. Auch für die Familie der Israelin Yael Reuveny.

Reuveny gehört zur so genannten dritten Generation, ihre Großmutter Michla Schwarz war eine Überlebende des Konzentrationsaußenlagers im brandenburgischen Schlieben. Ursprünglich aus Litauens Hauptstadt Vilnius stammend, verlor sie ihre Familie im Zweiten Weltkrieg, darunter auch ihren Bruder Feiv’ke. Und dies, hier liegt die Tragik, gleich zwei Mal. Zuerst im Glauben, er sei während des Kriegs als Soldat gefallen, dann, nach dem Krieg, als sie in Lodz von Feiv’kes Überleben erfuhr, nur um ihn vermeintlich in einem Hausbrand erneut zu verlieren. Zuvor wollten sich die Geschwister am Bahnhof von Lodz treffen, doch Feiv’ke erschien nicht. Und Michla Schwarz glaubte ihn tot.


„Wenn Feiv’ke am Leben wäre, würde er zu uns kommen“, habe die Schwester immer gesagt, verrät eine Freundin Yael Reuveny. Die junge Israelin hat sich die Geschichte ihrer Familie zum Thema für ihre Dokumentation Schnee von gestern genommen, in der sie ergründen will, warum der Bruder ihrer Großmutter seiner Zeit nicht am Bahnhof von Lodz erschien. Wie sich herausstellt, starb Feiv’ke Schwarz nicht bei einem Hausbrand, sondern erst viele Jahrzehnte später. Ironischerweise an jenem Ort, dem seine Schwester einst entfloh: Schlieben. In Schlieben „fängt die Geschichte meiner Familie an zu bröckeln“, stellt Yael Reuveny fest. Was trieb Feiv’ke dazu, im Täterland und -ort zu bleiben?

Auf dem Friedhof von Schlieben findet Reuveny das Grab ihres Großonkels unter dem Namen „Peter Schwarz“. Eine ehemalige Angestellte spricht gut über „Herr Schwarz“, echte Auskunft könne aber jemand anderes geben: Tante Helga. Deren Mann Otto war der Schwager von Peter/Feiv’ke, der nach dem Krieg eine deutsche Nichtjüdin geheiratet hatte. Und in jenem Ort lebte, wo er einst im KZ saß – dessen ehemalige Baracken inzwischen, in einem Anfall von Zynismus, zu einer Hausreihe von Deutschen umfunktioniert wurde. Im Ort wussten die meisten Einwohner, zumindest die Familie und Freunde, dass Peter Schwarz Jude und ehemaliger Insasse des Konzentrationslagers war. Nicht von ungefähr.


Schließlich hatten viele Schliebener im KZ oder der Munitionsfabrik HASAG gearbeitet. Was die Entscheidung von Schwarz, hierhin zurückzukehren, nicht nur für die Regisseurin umso unverständlicher macht. Über seine Zeit im KZ habe Peter nie geredet. „Das Thema war tabu“, sagt Tante Helga. Und mit dem Thema auch die Familie. In der israelischen Heimat, die Yael Reuveny immer wieder für Interviewpassagen mit ihrer Mutter Esther aufsucht, stellt sich wiederum heraus, dass bereits Mitte der 1990er Jahre ein Anruf aus der DDR einging. Am Apparat war ein vermeintlicher Cousin, ein selbsterklärter Sohn von Peter Schwarz. Man ließ die Sache auf sich beruhen – bis die Regisseurin dem Ganzen nachging.

Yael Reuveny lebt selbst in Deutschland. In Berlin, nahe dem Alexanderplatz. Was sowohl bei ihrer Mutter wie auch ihrem Vater für Unverständnis sorgt. Wie kann sie, als Jüdin, im Land der Täter leben? Und es auch noch als ihr Zuhause bezeichnen? Für die 33-Jährige war die Reise nach Deutschland eine in die Vergangenheit. Eine Reise in eine offene Wunde, die nie verheilt, höchstens unzureichend vernarbt. Was die junge Frau nach Deutschland trieb, ist in Schnee von gestern weniger von Belang wie was ihren Großonkel zurück hierher trieb. Und auch als sie Uwe, ihren Onkel zweiten Grades, sowie dessen Schwester Barbara trifft, findet sie auf diese Frage keine wirklich zufriedenstellende Antwort.

Viel eindringlicher als die Frage ob der Rückkehr nach Deutschland beschäftigt die Familie Reuveny jedoch die nach Feiv’kes versagter Suche nach Michla. Glaubte er die Schwester tot? Wollte er sie nicht wiedersehen, weil sie ihn an all das erinnerte, was ihm der Krieg genommen hatte? Oder wusste er, dass die Schwester ihm nicht verzeihen würde, dass er nach Schlieben zurückkehrte und eine deutsche Nichtjüdin heiratete? Fragen, die auch Uwe und Barbara nicht beantworten können, die zwar seit Kindesbeinen an um die KZ-Vergangenheit des Vaters wussten, jedoch das frühere Leben ihres Vaters nie in Frage stellten. Es war Uwe, der 1995, acht Jahre nach dem Tod des Vaters, den Kontakt nach Israel aufnahm.

Vergeblich, wie sich herausstellte. Michla, die selbst 2001 verstarb, wollte von der vermeintlichen deutschen Verwandtschaft nichts wissen. Erst nach ihrem Ableben begangen Yael und Esther Nachforschungen, welche die Enkelin vier Jahre später nach Deutschland führten. „In jeder Familie kennt man das Schweigen der ersten Generation, die über das Erlebte nicht reden kann, und die Sprachlosigkeit der zweiten, die nicht fragen durfte“, schrieb Kerstin Krupp in der Berliner Zeitung im Zuge von Reuvenys Film. „Erst die Enkel sind in der Lage, einen neuen Blick zu wagen.“ Und so wie Yael Reuveny ein Verhältnis zu Deutschland sucht, zieht es ihren Cousin zweiten Grades, Barbaras Sohn Stephan, wiederum zu Israel.


Die Geschichte der Großeltern hat bei beiden Spuren hinterlassen und jeder sucht im Land des anderen nach Antworten. Mit Schnee von gestern ist Yael Reuveny dabei nicht nur ein sehr persönliches Porträt über eine familiäre Spurensuche gelungen, sondern auch ein oftmals bewegender Film über die deutsch-israelische Beziehung. Darüber, welche Wellen die Shoa auch heute noch schlägt und wie sie ihre Spuren selbst in der dritten Generation hinterlassen hat. Zugleich zeigt die Dokumentation, dass dies nicht bei jedem Israeli gleich sein muss. So ist Yaels Bruder Oded im Grunde überhaupt nicht an der Geschichte seines Großonkels interessiert, obschon ihn die Faszination der Schwester für diese verwundert.

Am Ende lieferten ihre Nachforschungen für ihre Dokumentation Yael Reuveny zwar weder eine Antwort darauf, wieso es 1945 in Lodz nicht zum Bahnhofstreffen zwischen ihrem Großonkel und ihrer Großmutter gekommen ist, noch darauf, warum dieser nach Schlieben zurückkehrte und nie den Kontakt aus der Diaspora nach Israel suchte. Dennoch scheinen sie und ihre Mutter mehr im Reinen – mit sich selbst und ihrer Vergangenheit. Für Juden und Israelis wird Deutschland sicher immer ein sehr spezielles Land sein, aber Yael, Stephan und die jungen 17.000 Israelis, die derzeit in Berlin leben, versprechen Hoffnung, dass mit der dritten Generation und folgenden die Beziehung beider Kulturen sich weiter verbessert.


Szenenbilder „Schnee von gestern“© Film Kino Text. Alle Rechte vorbehalten.

These babys will be angels

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Nicht viele soziale Themen spalten die Gesellschaft so sehr wie die Frage nach der Legalität von Abtreibungen. “Everybody is right when it comes to the issue of abortion“, sagte der Jurist Alan Dershowitz in Tony Kayes Dokumentation Lake of Fire. In den USA ist um das Thema ein regelrechter Kleinkrieg entbrannt, in dem Ärzte, die Abtreibungen vornehmen, immer wieder von Anti-Abtreibungs-Fanatikern ermordet werden. So wie George Tiller im Jahr 2009, nachdem bereits in der Vergangenheit Anschläge auf sein Leben verübt worden waren. Die Folgen dieser Tat schlagen Wellen bis in die Gegenwart, wie Martha Shanes und Lana Wilsons Dokumentation After Tiller zeigt. In ihr befassen sich die Regisseurinnen weniger mit der Debatte, pro oder contra Abtreibungen, sondern mit Tillers Erbe.

War dieser doch bis zu seinem Tod einer der wenigen Ärzte, die Spätabtreibungen durchführten. Hierbei handelt es sich um eine Abtreibung im dritten Trimester der Schwangerschaft, also jenseits der sechs Monate. Nur ein Prozent aller Abtreibungen geschieht im dritten Trimester und hängt meist damit zusammen, dass die Föten einen genetischen Defekt oder eine Behinderung aufweisen. Über derartige Umstände berichten auch die Eltern, die in After Tiller die verbliebenen vier Ärzte aufsuchen, die in den USA noch Spätabtreibungen durchführen. So wie die Eltern eines Fötus’, bei dem in der 30. Schwangerschaftswoche plötzlich Arthrogryposis multiplex congenita (AMC), also eine angeborene Gelenksteife, diagnostiziert wurde. Und dies bei seinen Erzeugern einen Denkprozess anregte.


“Rather not put her through all that”, beschließt der Vater das Sterben seiner Tochter. Und seine Frau, die wie ihr Mann aktiv Sport betreibt, fragt sich: “Would we want to have lived our lives like that?” Schließlich kann die Tochter mit ihrer Gelenksteife später selbst keinen Sport treiben. Und was ist ein Leben ohne Sport wirklich wert? Vor einem ähnlichen Dilemma stehen zwei andere Eltern, als man ihnen sagt, ihr Kind leide an einer Corpus-callosum-Agenesie. Die Verbindung zwischen beiden Gehirnhälften fehlt somit – für das Kind das Todesurteil. Die Ärztin Shelley Sella hat Verständnis. “It’s not just about being alive”, sagt sie. “It’s about life and what does it mean?” Ein Leben mit Behinderung wird als kein echtes Leben wahrgenommen. Dunkel fühlt man sich an den Fall „Kind K.“ erinnert.

In einem anderen Fall bittet ein Vergewaltigungsopfer im sechsten Monat um eine Abtreibung, ohne derartige triftige Gründe werden Spätabtreibungen nicht vorgenommen. Auch, weil es neben Shelley Sella mit LeRoy Carhart, Susan Robinson und Warren Hern nur vier Ärzte im Land gibt, die diese durchführen. “At times I struggle and at times I don’t”, erzählt uns Sella. “But I always come back to the woman and what she’s going through.” Die Dokumentation widmet jedem der vier Ärzte scheibchenweise ihre Aufmerksamkeit, versucht die Motive für deren Bereitschaft zur Spätabtreibung hervorzuheben und die Persönlichkeit der vier zu beleuchten. So hatte LeRoy Carhart einst eine Pferdefarm, ehe sie von Abtreibungsgegnern im Jahr 1991 abgebrannt wurde und dabei 21 Pferde starben.


Auch das Privatleben von Warren Hern litt unter den ständigen Bedrohungen. “When I walk out the door of my office I expect to be assassinated”, gesteht er. Dabei ist ihm all das Aufheben um das Thema Abtreibung ein Rätsel. Hern wundert sich eher darüber, warum Leute Marihuana rauchen. “See what it does to your brain”, appelliert der Arzt. Keiner von den Vier macht seine Arbeit, weil sie ihm Spaß bereitet. Sondern weil sie den Menschen, die sie wegen dieser Arbeit aufsuchen, helfen wollen. Die zur Schau gestellte Beziehung zwischen Patientin und Arzt bringt in After Tiller so manche schräge Szene mit sich. Beispielsweise wenn eine Frau sich mit Umarmungen für die Fürsorge bedankt und über ihren Abtreibungsablauf anschließend sagt “it was such a precious experience”.

Man muss auch das Gute sehen – oder sich zumindest einreden. “Obviously these babies, they will be angels”, sagt eine Mutter. Und als Zuschauer versucht man sich vorzustellen, was für Aufgaben auf einen sieben Monate alten Fötus mit Flügeln im Himmel warten könnten. Der Tod des eigenen Kindes muss eben akzeptiert werden – wenn man schon das Kind selbst mit seiner Behinderung nicht akzeptieren kann. “I would if I could but I really can’t”, stammelt eine Mutter und die Ärzte fragen sich, was den Menschen wirklich helfe. Ihr Leben der Erziehung eines Kindes zu widmen, das kein „normales“ Leben führen kann? Oder sich selbst und dem Kind derartige Leiden oder Beschwerlichkeiten durch ein frühzeitiges Beenden zu ersparen. “It sounds barbaric, doesn’t it?”, ist sich Sella bewusst.


Die Dokumentation liefert auf die Frage keine direkte Antwort. Wie könnte sie auch. Selbst als Zuschauer fällt es einem schwer, sich klar zu positionieren. In den USA, wo sich die Befürworter und Gegner von Abtreibungen in etwa die Waage halten, unterstützen wiederum nur zehn Prozent die Legalität von Spätabtreibungen. Diese sind auch nur in neun Bundesstaaten erlaubt, wobei selbst in diesen kaum eine Gemeinde, wie der Film zeigt, eine derartige Klinik beheimaten möchte. “Reality is complicated”, sagen Martha Shane and Lana Wilson selbst. Menschen, die mit angeborener Gelenksteife leben, sind womöglich mit ihrem Leben, trotz der Einschränkungen, die ihre Behinderung mit sich bringt, dennoch ganz zufrieden. Und froh, dass ihre Eltern sie nicht einst abtrieben.

Nun ist Arthrogryposis sicher etwas anderes als Corpus-callosum-Agenesie, grundsätzlich stellt sich aber die Frage, wie viel Behinderung eine Spätabtreibung rechtfertigt. Ein Leben mit Down-Syndrom und anderen Einschränkungen dürfte für viele immer noch lebenswerter sein, als gar kein Leben. Dennoch entschlossen sich laut Statistischem Bundesamt im vergangenen Jahr 562 Frauen in Deutschland für eine Abtreibung nach der 22. Schwangerschaftswoche. Immerhin müssen die Ärzte hier bei uns nicht um ihr Leben fürchten, wenn sie diese Arbeit verrichten. Im Gegensatz zu ihren vier Kollegen aus After Tiller. Trotz ihres schon gehobenen Alters denken Susan Robinson und die anderen drei gar nicht an den Ruhestand. “I can’t retire”, sagt Robinson. “There aren’t enough of us.”


Szenenbilder “After Tiller”© ro*co. All Rights Reserved.

Raping. But With Love!

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Es war Robert F. Kennedy, der einst sagte: Nur diejenigen, die es wagen, groß zu scheitern, können auch Großes erreichen. Für manchen mag dies zum Mantra werden. So versucht Terry Gilliam seit rund anderthalb Jahrzehnten, seinen The Man Who Killed Don Quixote zu verfilmen. Stanley Kubrick gab sein Napoleon Bonaparte-Biopic derweil nach langer Vorarbeit Ende der 1960er Jahre entnervt auf. Auch Alejandro Jodorowsky dürfte Kennedys Zitat ein Schmunzeln abringen. Immerhin investierte der Chilene über zwei Jahre seines Lebens in eine Adaption von Frank Herberts Dune. Was für die einen die Verfilmung eines Kultromans war, avancierte für Avantgarde-Regisseur Alejandro Jodorowsky zu weit mehr als das.

“What I wanted was to create a prophet“, erläutert der Chilene in Jodorowsky’s Dune– Frank Pavichs dokumentarischer Aufarbeitung seines gescheiterten Projekts. “To change the young minds of all the world. For me, Dune will be the coming of a god“, schwärmt Jodorowsky. Das Medium Film war für ihn weit mehr als nur Kunst, es war “the search for the human soul“. In gewisser Weise also nur Mittel zum Zweck und so auch Frank Herberts Sci-Fi-Bibel von 1965. Jodorowsky hatte das Buch nicht einmal gelesen, ein Freund hatte es ihm lediglich empfohlen. Und dennoch erklärte der Regisseur seinem Produzenten Michel Seydoux Dune als sein nächstes Projekt, nachdem zuvor The Holy Mountain zum Hit wurde.


Ziel war, dem Publikum einen Film zu bieten, der wie ein Halluzinogen wirkte, nur dass man kein LSD schlucken musste. “We will change the world!“, lautete Jodorowskys Überzeugung, mit der er zwei Jahre lang täglich seine Mitarbeiter indoktrinierte. Eine durchaus illustre Gesellschaft, voll von Menschen, deren Egos sich vor dem eines Jodorowsky nicht zwingend zu verstecken brauchten: den französischen Künstler Jean ‚Moebius‘ Giraud, den britischen Zeichner Chris Foss, H.R. Giger und für die Spezialeffekte Dan O’Bannon. Letzterer war zweite Wahl, nachdem es mit Szene-Größe Douglas Trumbull nichts wurde. “He is not my spiritual warrior“, erklärte seinerzeit Jodorowsky gegenüber Michel Seydoux.

Gleichgesinnte fand der Chilene wiederum in Giraud und den anderen. Viele davon traf er eher zufällig, so Jodorowsky. “By chance“– aber so, wie er es erzählt, klingt es vielmehr nach Schicksal. Zufällig sei man im selben Hotel gewesen wie Salvador Dalí, der eine Nebenrolle übernehmen sollte. Zufällig war er in Paris auf derselben Party, die auch Mick Jagger besuchte, den Jodorowsky für die Rolle von Feyd-Rautha wollte. Während Jagger, Udo Kier (Piter deVries) oder Keith Carradine (Leto Atreidis) bereitwillig involviert sein wollten, mussten Dalí – mit einer Gage von $100.000 pro Filmminutenpräsenz – und der als Baron Harkonnen vorgesehene Orson Welles – mit täglicher Sterneküche – umgarnt werden.


Und während die Progressive-Rock-Band Magma, die für die Musik der Harkonnen-Szenen sorgen sollte, leicht zu überzeugen war, musste Jodorowsky auch bei Pink Flyod für die Atreides-Szenen Überzeugungsarbeit leisten. Als diese in Abbey Road ihr The Dark Side of the Moon aufnahmen und gerade zu Mittag aßen, fuhr sie der Regisseur an, wie sie denn Big Macs essen könnten, wenn er ihnen gerade im Begriff sei “the most important picture in the history of humanity“ anzubieten. Eine Ansage, die Wirkung zeigte. Derlei Anekdoten, zu denen auch Keith Carradines Vorliebe für Vitamin E-Tabletten zählt, kennt man von Jodorowsky bereits aus den Audiokommentaren seiner bisherigen Filme.

Unterdessen entstand in Paris bereits Jodorowskys Dune– zumindest auf dem Papier. Giraud fertigte für das Storyboard 3.000 Zeichnungen an. “Drawing by drawing I shoot the picture“, reflektiert der Regisseur. “I use Moebius like a camera.“ Gleichzeitig lieferten Foss und Giger Zeichnungen, der Brite für die Raumschiffe, der Schweizer für die Gebäude. Eine organische Entwicklung, deren Spitze die Besetzung von Paul Atreides mit Jodorowskys eigenem, 12 Jahre alten Sohn Brontis war. Der unterzog sich zwei Jahre lang täglich einem rigiden Kampfsporttraining. Sollte weniger den Helden spielen, als zum Helden werden. Dune befand sich in der Vorproduktion, nur fehlte es an einem Budget.


15 Millionen Dollar veranschlagten Michel Seydoux und Alejandro Jodorowsky 1973 für ihre Adaption. Inflationsbereinigt wären das heutzutage rund 80 Millionen Dollar. Das Ganze für einen Film, für dessen Laufzeit sich sein Regisseur nicht auf 90 Minuten beschränken wollte. “Why the time?“, nörgelt Jodorowsky. Ihm war eher eine zwölfstündige Fassung vorgeschwebt. “It was build up to be the greatest achievement in science fiction“, resümiert Regisseur Nicolas Winding Refn. Ihm hatte Jodorowsky eines Nachts das Storyboard für Dune gezeigt und auditiv untermalt. Doch in Hollywood biss vor 40 Jahren niemand an. “Everything was great“, beschreibt Seydoux die Studio-Reaktion. “Except the director.“

Für den Visionär ein Schlag ins Gesicht. Jahre seines Lebens hatte er in das Projekt gesteckt – etwas, das Ridley Scott anschließend geflissentlich vermied. Einen Traum hatte Jodorowsky und der drohte zu scheitern. Inzwischen ging es nicht mehr darum, Frank Herberts Dune zu drehen, sondern das des chilenischen Regisseurs. “It was my Dune, sagt Jodorowsky hinsichtlich einiger inhaltlicher Freiheiten und Veränderungen, die er vorgenommen hatte. “When you make a picture you must not respect the novel“, lautet seine These. “I was raping Frank Herbert, raping, like this“, beschreibt der Regisseur schelmisch. “But with love, with love,“ Für den Romanautor, so heißt es, gingen die Änderungen in Ordnung.


Wie Jodorowskys Dune ausgesehen hätte, kann man auch nach Jodorowsky’s Dune nur erahnen. Ein visuell opulentes Werk wäre es gewesen, vielleicht bahnbrechend. Die Zeichnungen von Foss und Giger sowie das Storyboard von Giraud wirken vielversprechend. Anschließend sollten Giger und O’Bannon mit einigen ihrer Entwürfe zu Alien wandern, der Schweizer gar einen Oscar gewinnen. Auch weitere Elemente, so Frank Pavichs These, fanden ihren Weg in andere Produktionen wie Star Wars oder Raiders of the Lost Ark. Das Fazit der Dokumentation lautet somit: Alejandro Jodorowsky war seiner Zeit voraus. Ein Bild, dessen sich der eigenwillige Regisseur wohl bewusst zu sein scheint.

Seine schrullig-kauzige, enthusiastisch-begeisterte Art ist an sich das Highlight von Frank Pavichs Film. Nie um eine absurd-vergnügliche Anekdote verlegen, ist Alejandro Jodorowsky ein Erzähler und Märchenonkel par excellence. Und angesichts der Skizzen, Bilder und Ideen seiner “spiritual warriors“ ist es durchaus schade, dass seine Version von Dune nicht das Licht der Welt erblickt hat. Es wäre sicher – so oder so – ein Film geworden, der seinesgleichen gesucht hätte. In gewisser Weise ist er nun, in dieser Form, doch irgendwie zum Leben erwacht. Und letztlich, auch durch die Filme, die er mit seiner Vorarbeit beeinflusst hat, vermochte Jodorowskys Dune in seinem Scheitern dennoch Großes zu erreichen.


Szenenbilder “Jodorowsky’s Dune“© Sony Pictures. All Rights Reserved.

Worth investing the time

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Es ist vermutlich der Albtraum aller Eltern: Dass das eigene Kind nach der Geburt im Krankenhaus vertauscht wird. Zwar handeln es sich um seltene Fälle, für die Betroffenen ist dies aber nicht minder schockierend. Vor sechs Jahren wurden in Saarlouis zwei Neugeborene vertauscht, die nach einem halben Jahr wieder bei ihren leiblichen Eltern landeten [1]. Im französischen Cannes ereignete sich 1994 eine Verwechslung, die erst nach Jahren bemerkt und letztlich nicht korrigiert wurde [2]. Ein emotionales Thema, das sich auch Regisseur Kore-eda Hirokazu für seinen jüngsten Film Soshite chichi ni naru– im Ausland als Like Father, Like Son vertrieben – zu eigen machte. Und das diesen im Alleingang zu Tragen weiß.

Im Film erhält das Ehepaar Nonomiya einen Anruf des Krankenhauses, in welchem ihr Sohn Keita (Ninomiya Keita) vor sechs Jahren zur Welt kam. Es stellt sich heraus, dass es seinerzeit zu einer Verwechslung des Neugeborenen kam. Folglich ist der Junge, den Ryota (Fukuyama Masaharu) und Midori (Ono Machiko) als ihren Sohn aufziehen, nicht ihr leiblicher Nachwuchs. Der wächst derweil unter dem Namen Ryusei (Hwang Shôgen) auf, in der Familie von Saiki Yudai (Furankî Rirî) und seiner Gattin Yukari (Maki Yôko). Beide Familien einigen sich auf eine Kontaktpflege, während sie bis zum Schulbeginn in sechs Monaten entscheiden müssen, welchen Jungen sie weiter als ihren Sohn aufziehen wollen.


Ein sofortiger (Rück-)Tausch scheint ausgeschlossen. “No one could switch a pet either”, vergleicht Yudai. Er und seine Frau sehen die Situation etwas entspannter als die Nonomiyas. Zuvorderst freuen sie sich über das vom Krankenhaus zu leistende Schmerzensgeld, ist es um die Familie des Ladenhändlers Saiki finanziell doch weniger gut bestellt als um die konservativen Nonomiyas. Vielleicht auch deswegen setzt Ryotas Chef ihm Flausen in den Kopf: “Why don’t you raise them both?” Den Jungen, der Jahre lang sein Sohn war, genauso wie das eigen Fleisch und Blut. Was insofern verwundert, da Ryota eine ziemlich herzlose Figur ist, die weder für Keita noch seine Frau oder die übrige Familie Gefühle zu hegen scheint.

Eine gewisse Ironie findet sich dahingehend, dass Ryota und sein Bruder nicht von ihrer leiblichen Mutter, sondern von der zweiten Frau ihres Vaters aufgezogen wurden. Der kühle Familienvater weiß also aus erster Hand, wie es ist, keine biologische Bindung zu einem seiner Erzeuger zu haben. Und dennoch stellt er Gene vor Gefühle, offenbart Midori bereits früh in Hinsicht auf Ryusei und die Saikis: “We may have to fight them.” Für ihn erklärt sich nun, warum Keita nicht gut genug Piano spielt – dabei bemüht sich der Junge doch sonst, nach seinem Vater zu geraten. Aufgaben von diesem werden spielerisch als „Missionen“ angesehen. Und sollen den Jungen dabei früh zur Selbstständigkeit erziehen.


Yudai wiederum ist eine völlig andere Vater-Figur. Wo Ryota meist spät Abends von der Arbeit nach Hause kommt und nicht einmal sonntags Zeit für Keita hat, sucht Yudai den spielerischen Kontakt zu seinem Nachwuchs. Wo im Hause Nonomiya alleine gebadet wird, ist das Baden bei den Saikis – sicher auch finanziell bedingt – ein Familienevent. “It’s worth investing the time”, klärt Yudai sein Gegenüber auf, als dieser sich zu schade ist, mit seinem Kind herumzutollen. Wie unterschiedlich die Männer sind, macht Kore-eda auch in ihren Lebensmotten deutlich. “Take one day off and it takes three days to catch up”, sagt Ryota da. “Put off to tomorrow whatever you can”, heißt es unterdessen aus Yudais Mund.

Letzterer bietet somit das familiärere Umfeld. Schreibt den Kindern nicht vor, wie sie mit ihren Stäbchen zu essen haben, repariert ihr Spielzeug, wo das reichere Pendant vermutlich einfach Neues kaufen würde. Als die Familien übers Wochenende die Jungen austauschen, nimmt sich Ryota für Ryusei genauso viel Zeit wie für Keita – nämlich keine. Gattin Midori macht es wenig besser, sodass der Junge zwischen der Badewanne und seinen Videospielen hin und her wandert. Als Zuschauer fragt man sich, wozu der adrett gekleidete Geschäftsmann beide Jungen aufziehen will, wo er doch an keinem von ihnen wirkliches Interesse zeigt. Erst spät erfährt Ryota doch noch eine Sinneswandlung – vielleicht fast zu spät.


Denn auch wenn das Thema der vertauschten Kinder Soshite chichi ni naru trägt, bleibt der Film zugleich an diesem hängen. Die Figuren sind Mittel zum Zweck für die Dramatisierung, einen rechten Zugang zu ihnen vermag Kore-eda nicht zu entwickeln. Warum ist Ryota so kalt? Zu Keita, Midori, seiner Stiefmutter? Wieso vermag Midori genauso wenig eine Beziehung zu Ryusei aufzubauen? Und was, außer repariertes Spielzeug und Spielgefährten, spricht Keita sonst bei den Saikis an? Wie Yudai und Yukari über den Konflikt mit den Kindern denken, verfolgt der Film auch nicht weiter – sehr wohl dafür aber ihre Vorfreude auf die finanzielle Entschädigung. Was die vermeintlich „besseren“ Eltern geldgierig wirken lässt.

Mit der Frage, ob das Eltern-Kind-Verhältnis mit der Zeugung oder erst nach der Geburt beginnt, setzt sich Kore-edas Film somit nicht wirklich auseinander. Sicherlich fällt es Eltern leichter, vertauschte Kinder im Alter weniger Monate, vielleicht sogar bis zu einem Jahr, eher wieder auszutauschen als wenn diese bereits fünf, sechs Jahre aufgezogen wurden. 100 Prozent der Eltern, sagen die Krankenhausleiter im Film, würden ihre leiblichen Kinder wiederhaben wollen. Wobei wohl anzunehmen ist, dass dies in frühen Stadien der Verwechslung der Fall ist. Je älter die Kinder sind, desto unwahrscheinlicher scheint, dass sie aus ihren gewohnten Umfeld entrissen werden, wie auch ein Fall aus Virginia zeigt [3].


Insofern fehlt Soshite chichi ni naru trotz der starken Prämisse in gewisser Weise das Persönliche, um über die Frage der richtigen Handlungsweise hinaus mit den Figuren des Films mitzuleiden. Aber nicht nur mit den Charakteren hätte sich Kore-eda intensiver auseinander setzen müssen, auch an seinem Thema kratzt er schlussendlich nur oberflächlich. Wie genau sich die Elternschaft der vier Figuren definiert beziehungsweise sie selbst diese definieren – abgesehen von Ryotas Identifikation primär über das Gen-Material – wird nicht näher erläutert. Für die Nonomiyas wie auch für die Saikis ändert sich an sich wenig. Bei den einen wird Ryusei wie Keita sich überlassen, bei den anderen ist das Kind eines von vielen.

Dem ungeachtet vermag der Film natürlich speziell nach hinten raus zu berühren. Dies mag sich auch durch Ryotas einsetzende Katharsis erklären. So faszinierend die Fragestellung gerät, hätte Soshite chichi ni naru jedoch weitaus packender und mitreißender geraten können, wenn Koreeda-san mehr in die Tiefe gegangen wäre. Sei es bei den Figuren, dem Thema oder beidem. Zumindest bei Steven Spielberg hat der Film jedoch genug Eindruck hinterlassen, um ein US-Remake durch DreamWorks zu rechtfertigen, das von Paul und Chris Weitz geschultert werden soll. Wenn man so will, kriegt Like Father, Like Son somit nun neben seinem japanischen also noch einen US-amerikanischen Erzeuger dazu.



Quellenangaben:

[1] s. o.A.: Vertauschte Babys sind daheim, in: Focus.de, 21.1.2008, http://www.focus.de/panorama/welt/saarlouis_aid_234530.html.
[2] s. Annika Joeres: Vertauschte Säuglinge. Ist das mein Kind?, in: zeit.de, 20.2.2014, http://www.zeit.de/2014/09/vertauschte-kinder-abstammung-erfahrung.
[3] Sara Gates: After Being Switched At Birth, Rebecca Chittum and Callie Johnson Wouldn’t Change A Thing, in: The Huffington Post, 22.11.2013, http://www.huffingtonpost.com/2013/11/22/rebecca-chittum-callie-johnson-switched-at-birth_n_4319243.html.


Szenenbilder “Soshite chichi ni naru”© Film Kino Text. Alle Rechte vorbehalten.

The Platoon from Hell

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Der spanische Philosoph George Santayana sagte: “Only the dead have seen the end of the war.” Ein Zitat, das sicher auf die Opfer des Afghanistan-Krieges zutrifft. Was als Folge der Terroranschläge des 11. September 2001 begann, zieht seine Schatten bis in die Gegenwart. Pro Stunde kostet der Krieg in Afghanistan den US-Steuerzahler scheinbar 10 Millionen Dollar, seit seinem Beginn vor 13 Jahren summieren sich seine Kosten auf über 700 Milliarden Dollar [1]. In dieser Zeit starben 2.351 US-Soldaten [2], vermutlich zehnmal so viele Taliban [3], aber auch über 21.000 afghanische Zivilisten [4]. Drei von ihnen wurden von einem US-Platoon getötet, das in den Medien als “The Kill Team” bekannt wurde.

Dieses Platoon, genauer gesagt die 2. Infanterie-Division, die in der Region Kandahar stationiert war, nahe des Dorfes Maiwand, diente Regisseur Dan Krauss als Thema für seine Dokumentation The Kill Team. Er rollt die Vorfälle, die sich zwischen Januar und Mai 2010 ereignet haben, für das Publikum auf – mit den für die Verbrechen verurteilten Soldaten als Protagonisten und Talking Heads. Im Zentrum steht dabei Specialist Adam Winfield, der scheinbar auf die Vorfälle aufmerksam gemacht hatte, aber nicht erhört wurde. Und sich dann im Mai 2010 selbst der vorsätzlichen Tötung schuldig machte, für die er eine Haftstrafe von drei Jahren erhielt, von der er aber nur ein Jahr verbüßte, ehe er 2012 freikam.

Insgesamt wurden fünf Soldaten zwischen 19 und 29 Jahren wegen vorsätzlicher Tötung angeklagt, darunter Corporal Jeremy Morlock, der sich in allen drei Fällen schuldig machte. Neben ihm und Winfield sprach Krauss auch mit den Privates First Class Andrew Holmes und Justin Stoner, alle Beteiligten reflektieren relativ nüchtern die Vorfälle von 2010. “Over there it’s combat, man. It happens”, zeigt Holmes beispielsweise wenig Schuldbewusstsein. Eine Eigenschaft, die scheinbar das gesamte Platoon damals an den Tag legte. “People in my platoon…they just changed”, beschreibt Winfield. “Something in them changed.” Monatelang waren sie ausgebildet worden, um zu töten. Und nun wollten sie das auch tun.

Adam Winfield ist einer von fünf verurteilten US-Soldaten des “Kill Teams”.

Die ursprüngliche Idee, Zivilisten zu töten, stammte jedoch von ihrem Vorgesetzten. Im Jahr zuvor hatte die 2. Infanterie-Division in Staff Sergeant Calvin Gibbs einen neuen Gruppenführer erhalten. Und Gibbs berichtete seinen Männern, basierend auf seinen eigenen Erfahrungen im Irakkrieg, wie leicht es sei, jemanden zu töten. Es bedürfe lediglich einer Tatwaffe, die man mit dem Toten in Verbindung bringt. Beispielsweise einer Granate. “Who’s gonna question it?”, formuliert es Morlock. “Nobody’s innocent. Fuck ’em.” Und Gibbs hatte ein Standing im Platoon. Wer seinen Anweisungen folgte, beschreibt Justin Stoner, der überlebte. Also folgten sie ihm auch im Töten von unschuldigen Afghanen.

“Alright. Sure. This is okay”, rekapituliert Morlock seine damalige Reaktion. Sein erstes Opfer war dann ein 15-jähriger Junge, den er und Holmes im Januar 2010 in einem Feld erschossen. “He didn’t register as a person (…) He was just there. I was excited”, erzählt der Corporal. Dass es sich bei dem Jungen um einen Taliban handelte, kam den anderen Platoon-Mitgliedern gar nicht in den Sinn. Und die Dorfeinwohner und Verwandten verlangten vergebens eine Untersuchung seitens der US-Armee. “Who’s gonna question it?” Unterdessen, so macht Winfield in The Kill Team Glauben, seien ihm die Vorfälle immer naher gegangen. Hilfe suchte er zuerst bei seinem Vater, selbst ein Army-Veteran, über einen Facebook-Chat.

Doch die Versuche, die Situation in Afghanistan zu melden, scheinen im Sande zu verlaufen. Zumindest gab es wohl keine Reaktion von irgendeiner Stelle. “Why are they all okay with this?”, fragte sich Winfield. Und wurde nun plötzlich selbst zur Zielscheibe. Gibbs, Morlock und Co. blieb sein Widerwillen nicht unbemerkt und wie sie innerhalb ihrer Einheit mit Petzen verfuhren, sollte PFC Stoner später miterleben müssen, als man ihn verdrosch, nachdem er Haschisch-Konsum zur Meldung brachte. “Friendly Fire” ist ebenfalls keine Seltenheit, auch dies würde wohl niemand allzu sehr hinterfragen. Keine leichte Situation, weshalb sich Winfield im Mai wohl der Situation ergab und an einer Tötung partzipierte.

Jeremy Morlock posiert mit dem Leichnam des 15-jährigen Gul Mudin.

Ans Tageslicht kamen die drei Tötungen dann dennoch, die beteiligten Personen wurden von den Medien danach zum “Kill Team” stilisiert. Die US-Armee war bestrebt, die Vorfälle herunterzuspielen. Wie immer, wenn Kriegsverbrechen aus den eigenen Reihen passieren. Und während Morlock, Holmes und Stoner in Krauss’ Dokumentation das Sichtfeld auf die Umstände erweitern, stehen doch Winfield und seine Eltern im Fokus des Films. Das personalisierte Drama um den unschuldigen im “Kill Team”. Inwieweit Winfield tatsächlich unschuldig ist, lässt sich mittels des Films schlecht beurteilen. Die wahren Opfer und Betroffenen, die Angehörigen der drei Afghanen, bleiben in The Kill Team jedenfalls ungehört.

Was die Beteiligten beschreiben, ist dabei nichts wirklich etwas Neues. Auch in Sam Mendes’ Jarhead lechzt es Peter Sarsgaard nach einer Tötung im Dienst. Immerhin ist dies die Bestimmung der Soldaten: in Afghanistan die Taliban auszumerzen. Die langwierige Suche, wer nun ein Taliban ist und wer in einem Dorf mit ihnen sympathisiert und ihnen hilft – darauf liegt wohl nicht der Schwerpunkt in der Ausbildung der jungen Männer. In diese werden dann sicher auch soziopathisch veranlagte Menschen wie Calvin Gibbs gespült, die sich aus Körperteilen ihrer Opfer Trophäen basteln. Und die ihren Untergebenen vorleben, wie einfach es ist, am Rande der Legalität und Vernunft zu leben. Und zu töten.

Eine tiefergreifende psychologische Auseinandersetzung mit dieser Problematik kann man von Dan Krauss für seine Dokumentation nicht erwarten, Ansätze davon schwingen zumindest unterschwellig in den Aussagen der Interviewten mit. Dass es dem Regisseur gelang, diese als Talking Heads zu integrieren, ist so ungewöhnlich wie bewundernswert. Speziell im Fall von Jeremy Morlock liegt die Gratwanderung zwischen Besonnenheit und Wahnsinn nah beinander, wenn er in ruhigen Worten von den Tötungen in Afghanistan erzählt oder wie man sich damit auseinandersetzte, dass auch Winfield im Zweifelsfall ein solches Schicksal hätte blühen können. Ein “Band of Brothers” sieht sicher anders aus.

Cpl. Jeremy Morlock wurde zu 23 Jahren Haft verurteilt.

Mit Archivaufnahmen, Talking Heads und dem Begleiten der Winfield-Familie gelingt es Krauss ganz gut, in bildhafter Form darzustellen, wofür Mark Boal in seinem Rolling Stones-Artikel 8.500 Wörter gebrauchte [5]. Und dennoch wäre eine Sichtweise eines hochrangigen Armee-Offiziers genauso dienlich gewesen, wie ein Einbeziehen der afghanischen Opfer. Speziell in Hinblick auf Boals Artikel überrascht und irritiert Krauss’ Darstellung von Winfield als unschuldiges Opferlamm. Selbst wenn die Beteiligten nüchtern die Ereignisse rekapitulieren, hätte Krauss Aspekte wie Reue stärker fokussieren können. So wirken die Figuren eher wie eine Bande Jungs, die eben bei einer Dummheit erwischt wurden.

Dass es zu solchen Vorfällen seitens US-Soldaten gegenüber Zivilisten kommt, dürfte wiederum höchstens Amerikaner überraschen. Grundsätzlich ist sicher davon auszugehen, dass dieses “Kill Team” nicht das einzige seiner Art gewesen sein dürfte – weder in Afghanistan noch im Irak. “None of us in the platoon (…) gives a fuck about these people”, soll Morlock am Ende seiner ersten Befragung zu den Ereignissen von 2010 gesagt haben [6]. Auch damit dürfte er nicht alleine dastehen oder überraschen. Insofern gerät The Kill Team weitaus weniger schockierend als vergleichsweise The Tillman Story oder The Invisible War. Was ihm aber nur bedingt zu Lasten fällt, dafür ist das Thema per se zu stark.

Noam Chomsky sagte: “For the powerful, crimes are those that others commit.” So in etwa lässt sich auch die Herangehensweise der Amerikaner in The Kill Team verstehen. Dabei sprechen die Tötungen von Gibbs, Morlock und Co. weniger von einem überbordendem Patriotismus, dem Irrglauben, sein Land und seine Einwohner gegen den bösen Mann in den Bergen Afghanistans zu verteidigen, als dass sie ein Zeichen dessen sind, wie falsch dieser Krieg tatsächlich ist. Und dass so etwas wie ein „Sinn“, so es ihn denn je gab, sich schon lange verabschiedet hat. Was bleibt, ist eine Art Fiebertraum. Entsprechend resümiert Morlock gegen Ende des Films: “It was impossible not to surrender to the insanity of it all.”


Quellenangaben:

[1] vgl. https://www.nationalpriorities.org/cost-of/.
[2] vgl. http://www.defense.gov/news/casualty.pdf.
[3] vgl. Akmal Davi: Despite Massive Taliban Death Toll No Drop in Insurgency, in: Voice of America, 6.3.2014, http://www.voanews.com/content/despite-massive-taliban-death-toll-no-drop-in-insurgency/1866009.html.
[4] vgl. http://costsofwar.org/article/afghan-civilians.
[5] vgl. Mark Boal: The Kill Team: How U.S. Soldiers in Afghanistan Murdered Innocent Civilians, in: Rolling Stone, 27.3.2011, http://www.rollingstone.com/politics/news/the-kill-team-20110327?page=8.
[6] ebd.

Szenenbilder “The Kill Team”© Oscilloscope. All Rights Reserved.

This is the best place to be

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Allgemein heißt es ja immer, Deutschland wäre besonders gut aus der Weltwirtschaftskrise gekommen, dabei herrschte hierzulande im vergangenen Dezember eine Arbeitslosenquote von 6,4 Prozent. In den Vereinigten Staaten wiederum betrug sie zum gleichen Zeitpunkt nur 5,6 Prozent. Eine Zahl, über die man im Bundesstaat North Dakota nur müde Lächeln kann, schließlich ist die Zahl der Arbeitslosen dort sogar nur halb so hoch. Genauer gesagt ist North Dakota der US-Staat mit der geringsten Arbeitslosenquote – allerdings nahm dort zugleich von 2012 auf 2013 die Zahl der Obdachlosen um 200 Prozent zu. Kein Widerspruch, sondern ein Zusammenhang, wie The Overnighters dokumentiert.

Seit 2005 in dem Städtchen Parshall Öl gefunden wurde, herrscht in North Dakota ein Ölboom. Das betreffende Feld liegt im Williston Becken, was dazu führt, dass Williston zur populären Anlaufstelle für Arbeitslose anderer Bundesstaaten avanciert. Zwischen 2010 und 2013 stieg die Bevölkerung in Williston um 36 Prozent von unter 15.000 auf 20.000 an. Auch in anderen Landkreisen North Dakotas nahm die Einwohnerzahl zu, verdoppelte sich teils sogar. Was nicht ohne Probleme bleibt, denn viele Städte wie Williston sind von ihrer Infrastruktur auf eine derart schnelle Bevölkerungsexplosion nicht eingestellt. Was wiederum den drastischen Anstieg bei der Zahl der Obdachlosen in North Dakota erklärt.

In Williston finden sie Unterschlupf in der Concordia Lutheran Church von Pastor Jay Reinke, der bereits gut 1.000 Männer in der Kirche hat übernachten lassen. Sie schlafen in Räumen und Gängen, in ihren Fahrzeugen auf dem Kirchenparkplatz. Zehntausende kommen nach North Dakota auf Arbeitssuche, einen Platz zum Unterkommen haben die wenigsten von ihnen. “I’m just at the end of my rope”, erklärt einer der Männer. Endstation Williston heißt es für viele. Pastor Reinke hat derweil nur eine Bitte: “Don’t spill coffee on the carpet. Drives me crazy.” Seine Gäste danken es ihm, ist Reinkes Kirche doch einer der einzigen Orte, wo sie sich willkommen fühlen, in einer Stadt, die ihnen skeptisch gegenübersteht.

“This normally peaceful town is livin’ in fear”, so ein Nachrichtenbeitrag, als eine Lehrerin von zwei Zugereisten ermordet worden sein soll. In der Tat hat sich in North Dakota zwischen 2007 und 2012 die Kriminalität verdoppelt. Und mit ihrem Anstieg fällt die Geduld der Anwohner mit den Neuankömmlingen. Auch innerhalb Reinkes Kirchengemeinde, die bei aller Nächstenliebe und Christlichkeit wissen will, wie viele Männer der Pastor noch aufnehmen will. Und wie lange das Ganze weitergeht. “I don’t say ‘no‘ very well”, gesteht der dreifache Familienvater, der seine Frau und Kinder im Zuge seiner Hilfsbereitschaft hintenanstellt. Immerhin hat er aber seine Familie bei sich, würden vermutlich manche sagen.

Schließlich haben die Meisten von ihnen ihre Liebsten zurücklassen müssen, um in North Dakota ihr Glück zu versuchen. Kontakt mit der Gattin und den Kindern wird per Telefon oder Skype aufrecht erhalten. “I came out here to save my family and it’s probably costing me my family”, sagt später einer der Männer verzweifelt. Zu Beginn des Films hatte er Händeringend nach einer Anstellung gesucht. Denn wer im Ölfeld nach zwei bis drei Tagen keine Arbeit findet, kriegt selten eine, weiß ein Kirchengemeindemitglied. Die Männer wiederum ringen mit sich selbst, haben ihren Stolz und ihre Würde längst verloren. Die Einwohner North Dakotas wollen sie nicht hier haben, die Männer selbst wären sicher auch lieber woanders.

Trotzdem ist es aktuell ihre beste Chance. “This is the best place to be, man”, heißt es an einem Lagerfeuer dreier Männer, die vor ihren Wohnwagen sitzen. Ein anderer meint “this is definitely the place for a second chance”, immerhin würden die Arbeitgeber nicht einmal nach möglichen Vorstrafen fragen. Was im Verlauf von The Overnighters noch entscheidend wird, wenn Reinke einen vorbestraften Sexualstraftäter bei sich Zuhause aufnimmt. Schlicht, damit nichts davon nach außen dringt. Denn die Lokalpresse, so Reinke, führt einen Feldzug gegen ihn und die Overnighters. Und natürlich findet sie anschließend heraus, wer bei Reinke wohnt, versucht vom Pastor auf offener Straße ein Statement zu bekommen.

Einen der Journalisten der betreffenden Zeitung befragt Regisseur Jesse Moss genauso wenig eindringlicher für seine Dokumentation wie Anwohner oder jemand von der Stadtverwaltung. Im Mittelpunkt des Films steht Pastor Reinke – was sich mit fortlaufender Dauer als immer größeres Problem herausstellt. Denn die Motivation des Gottesmanns bleibt schwammig und erklärt sich nicht mit reiner Nächstenliebe. Vielmehr wirkt Reinke wie ein Narzisst und Selbstdarsteller, was er in mehreren Szenen unter Beweis stellt. So sagt er im einen Moment einem Mann, ihm gehöre seine Liebe und Unterstützung, wenn ihn der Film das nächste Mal wieder besucht, wurde er von Reinke verstoßen. Und ist damit nicht alleine.

Als ihm das Problem mit dem Sexualstraftäter – dessen Vorstrafe darin liegt, dass seine damalige Freundin minderjährig war – zu viel wird, sucht Reinke das Gespräch mit ihm. Dies wiederum in einem Food Court, was sein Gegenüber merklich irritiert. Warum er so eine Szene verursache, will er von Reinke wissen. Die Antwort findet sich in Moss’ Film. Ein Echo hierzu gibt es gegen Ende, wenn Reinke erneut die Öffentlichkeit sucht, um seiner Frau ein niederschmetterndes Geständnis zu machen. Das Ganze von einem Pastor und Menschenhirten. Moss befeuert und bestätigt Reinkes Verhalten durch seine fehlende Distanz dabei nur noch, was The Overnighters, wie sich zeigt, immer stärker zum Hindernis wird.

Das eigentliche Thema des Films, die Obdachlosensituation in Folge des Ölbooms, gerät verstärkt in den Hintergrund. Am Ende dreht sich The Overnighters fast singulär um Jay Reinke, den Jesse Moss durch seine Aufmerksamkeit durch den Film tiefer in eine Situation geritten hat, die dieser vielleicht besser vermieden oder zumindest entschärft hätte. Angesichts des sozial aufgeladenen Themas ist es bedauernswert, in welche Richtung sich die Dokumentation entwickelt, was sich durch einen kompetenteren Regisseur hätte vermeiden lassen können. Dass der Film dann so endet, wie er es tut, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Jesse Moss hätte sich vermutlich kaum einen „besseren“ Schluss wünschen können.


Szenenbilder “The Overnighters”© Dogwoof. All Rights Reserved.

All things shining

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Geht um die Filmografie von Terrence Malick, so gibt es eine Zeit vor und eine Zeit nach The Thin Red Line. Waren zwar auch Badlands und Days of Heaven von Bildern dominiert und mit Voice-overn versehen, so stellt Malicks Regie-Rückkehr nach 20 Jahren Abwesenheit den Prototyp seines gegenwärtigen Schaffens dar. Eine sich beinahe verselbständigende Kamera, eine Flut inzwischen zum Klischee verkommener innerer Monologe. Was Malick in The New World, The Tree of Life und To the Wonder perfektionierte, findet in The Thin Red Line seinen Ursprung. Dabei basiert Malicks dritter Film zwar auf James Jones’ gleichnamigem Roman, doch dieser dient ihm bloß als Aufhänger für seine philosophischen Gedanken.

Malick greift Figuren und Handlungsstränge aus Jones’ Roman auf [1], im Fokus steht jedoch nicht ein bestimmter Charakter oder eine spezielle Handlung. Im weitesten Sinne nicht einmal die Schlacht um Guadalcanal oder der Zweite Weltkrieg. Vielmehr geht es Malick um den Krieg an sich, seine Beziehung zum Menschen und dessen Zugehörigkeit sowie Zwist mit der Natur. “It is a war film that, ultimately, is no longer about war”, resümiert Peebles, “it transcends the genre.”[2] Eine Entscheidung, die dem US-Regisseur durchaus vorgehalten wurde [3], die gleichermaßen aber auch Applaus fand. Nicht zuletzt als cineastisches Gegenstück zu Steven Spielbergs Saving Private Ryan, der im selben Jahr anlief.

Beide Filme waren 1999 für mehrere Oscars nominiert, aber nur Spielbergs Pathos sollte prämiert werden. Dies lag zum einen natürlich an der unterschiedlichen Herangehensweise ihrer Regisseure, aber auch an der ihres Filmstudios [4]. Für Saving Private Ryan betonte der Verleiher “Spielberg’s new role as artistic chronicler of the Second World War”, stellt Flanagan fest [5]. Ganz im Gegensatz zu 20th Century Fox, die “never chose to emphasise any potential that The Thin Red Line might have to contribute to or even change perceptions of World War Two”[6]. Wo Spielbergs Film helfen sollte, in Erinnerungen zu schwelgen, wollte Malick vielmehr inspirieren, über den (Kino-)Tellerrand hinaus zu blicken [7].


Wo Spielberg der Geschichte huldigt, angefangen mit seiner von der Rezeption gefeierten Normandie-Szene, inszeniert in The Thin Red Line Malick “a myth that rejects historical analyses”[8]. Für ihn geht es weniger darum, wie Spielberg ein Bild des Good War zu zeichnen [9], in dem sich die Alliierten gegen das personifizierte Böse der Achsenmächte auflehnten, bei ihm drängt sich vielmehr „der Un-Sinn des Kriegs in jeder Einstellung auf“[10]. Malick erzählt im Gegensatz zu Spielberg „ohne verlogene Heroisierung“, wie Suchsland bemerkt, „aber auch ohne prinzipielle Verdammung“[11]. Vielleicht spielte auch deshalb The Thin Red Line in den USA nur ein Siebtel der Summe von Saving Private Ryan ein [12], [13].

Für Malick ist die Schlacht um Guadalcanal, die im Zentrum seines Films steht, letztlich eine Episode von vielen in der Menschheitshistorie, der er sich bedient, um mit seiner „Geschichte über den Krieg im Pazifik (…) über das Wesen des Menschen“ zu philosophieren [14]. Am eindrücklichsten geschieht dies über zwei der vielen Soldaten-Figuren, namentlich Witt (James Caviezel) und den die meiste Zeit nur als Voice-over existierenden Train (John Dee Snuts), die Malicks Idee eines hylozoistischen Weltbildes auf die Tonspur transportieren. Diesem widmet sich der Regisseur gleich zu Beginn seines Films in einer rund zehnminütigen Szene, die von ihren transportierten Thesen an Ralph Waldo Emerson erinnert.

Es ist Witt, der eingangs mit einem Kameraden seiner Einheit AWOL geht, auf einer nahe gelegenen Insel dem scheinbaren Paradies der Einwohner beiwohnend. “Nature never wears a mean appearance”, schrieb Emerson einst [15]. In den Wäldern, den Plantagen Gottes, “we return to reason and faith. There I feel nothing can befall me in life – no disgrace, no calamity (…) all mean egoism vanishes”, resümiert Emerson [16]. Auch Witt findet hier das Paradies, sieht hier jenes herrliche Licht des Seins. “I seen another world”, bekräftigt er gegenüber seinem Vorgesetzten, Sergeant Welsh (Sean Penn). Schiebt angesichts des Kriegsalltags allerdings nach: “Sometimes I think it was just my imagination.”


“Then you’ve seen things I never will”, entgegnet ihm Welsh halb zynisch, halb bedauernd. Er agiert in The Thin Red Line als Gegenstück zu Witt, der Film wird durch drei Dialoge der beiden strukturiert. Mit seinem Zynismus schaut Welsh hinter die Fassade dieser Welt (“We’re living in a world that’s blowing itself to hell as fast as everybody can arrange it”), ist aber in seinem Kern dennoch Militär geblieben. “I guess we don’t see the bigger picture, do we?”, sinniert auch John Travoltas General Quintard anschließend im Gespräch mit seinem Untergebenen, Colonel Tall (Nick Nolte). Sie alle drei sind Männer, die die Plantage Gottes verlassen haben. “All I might have given for love’s sake”, klagt Tall. “Too late.”

Der Colonel wiederum ist womöglich die nächste Stufe einer Karriereleiter, die Welsh selbst noch erklimmen muss. Tall wirft sich mit Inbrunst in die Schlacht um Guadalcanal, in seinen ersten Krieg in 15 Jahren. Nur hier kann er sich profilieren, selbst weiter aufsteigen zum General, was ihm nach eigener Einschätzung schon längst gebührt. Entsprechend wird auch ihm im Verlauf mit Captain Staros (Elias Koteas) ein charakterliches Gegenstück serviert, mit dem er sich reiben darf. “Played a role I never conceived”, hadert Tall an einer Stelle mit sich und seinem Schicksal, um Staros gegenüber zu betonen “Nature’s cruel” und somit dem Emersonschen Bild (“Nature never wears a mean appearance”) zu widersprechen.

Insofern teilen sich auch die Soldaten in The Thin Red Line in das klassische malicksche Lager von Natur und Gnade auf, das der Texaner in The Tree of Life postulieren wird. Auf der einen Seite die Talls und Welshes oder die Dales, die (toten) Feinden die Goldzähne herausreißen, weil der ganze Krieg sowieso, wie Welsh es formuliert, sich nur um Eigentum dreht [17]. Ihnen gegenüber stehen Figuren wie Staros, Witt, Train und Bell (Ben Chaplin), die ihre Umwelt reflektierter wahrnehmen und versuchen, in all dem Wahnsinn einen Sinn zu erkennen. Die übrigen Charaktere verteilen sich dazwischen.“I killed a man”, kommentiert beispielsweise Doll (Dash Mihok) an einer Stelle. “Worst thing you could do.”


Im weitesten Sinne sind es Figuren ohne Persönlichkeit, austauschbar. „Die Soldaten sind kaum voneinander unterscheidbar“, bemerkt Kronenmeyer, „sie verschmelzen zu einer großen Masse“ [18]. Ähnlich gerät im Film einer von Witts Gedankensträngen: “Maybe all men got one big soul… who everybody’s a part of. All faces of the same man. One big self.” Auffällig ist dabei auch, dass im Gegensatz zu Saving Private Ryan die Soldaten hier nicht „Miller“ heißen, keine klassischen Nachnamen wie „Jackson“ tragen, sondern in der Regel kurze Namen mit vier oder fünf Buchstaben, die ihren Charakter und seine Rolle beschreiben. Von Witt bis Tall, von Bell bis Doll, ein kranker Soldat heißt da natürlich Sico.

Malick erzählt nicht dezidiert die Geschichte einer bestimmten Person, “the audience would be given no guide (even to the extent of being denied a clearly identifiable protagonist to clarify themes on their behalf), in effect being left to venture through a moral swamp alone”[19]. Vielmehr wirken die Soldaten im Film wie verschiedene Facetten eines menschlichen Gesichts, ähnlich wie von Witt geäußert und dabei entfernt an Heidegger erinnernd [20]. Der wiederum, mit dem sich Malick in seinem Philosophiestudium selbst eingehender beschäftigte, schrieb dereinst: „[Natur] bedeutet das Sein des Seienden“[21] und unterfüttert damit Emerson [22]. In dieser Linie lässt Malick dann gerade Train folgen.

“What is this war at the heart of nature?”, fragt sich Train als erste Stimme, die wir im Film hören. “Why does nature vie with itself?” Damit meint die Figur zum einen die Schlacht um Guadalcanal, ein Krieg im Herzen der Natur, die sonst klares Wasser und Papageien bestimmt. Andererseits aber auch den Konflikt zwischen den Menschen, die selbst ein Sein des Seienden darstellen und so das Herz der Natur. “This great evil. Where does it come from?”, fragt Train später. Wie kam es in die Welt, aus welcher Wurzel stammt es? “Who’s doing this?”, will Train wissen. “Is this darkness in you too?” In dem Kontext passt Talls Fazit, die Natur sei grausam. “How did we lose the good that was given us?”, klagt Train.


Wo Train hadert und zweifelt, versprüht Witt Zuversicht. “If nature is the heart of the film, then (…) Witt is its soul”, bemerkt McCracken [23]. James Caviezels Figur ist die Personifikation der emersonschen Philosophie [24] und damit in ihrem jovialen Optimismus die offensichtlichste Identifikationsfigur des Zuschauers. “You still believing in the beautiful light, are you?”, fragt Welsh in seinem dritten und finalen Dialog mit Witt. Der entgegnet, fast schon messianisch [25], seinem Vorgesetzten: “I still see a spark in you.”[26] Witt ist es daher am Ende, der sich für das Wohl seiner Einheit (“my family”) – opfert. “Where’s your spark now?”, meint Welsh trotzig bei Witts Beerdigung – und kämpft zugleich mit den Tränen.

Ebenso optimistisch schickt sich Bell an, der mittels Rückblenden zu seiner Frau (Miranda Otto) in The Thin Red Line die Liebe repräsentiert. “Love. Where does it come from? Who lit this flame in us?”, fragt er sich. “No war can put it out, conquer it”, ist er sich sicher. Und muss zum Schluss doch einer Scheidung zustimmen. “War”, befand Train zuvor bereits, “poisons the soul.” Untermalten zwar auch Badlands und Days of Heaven Voice-over, so machte sie sich Malick nun vollends zu eigen. Sie sind seine Zugabe zu Jones’ Roman [27] und als solche scheinbar eine Entscheidung, die erst in der Post-Produktion fiel [28]. Zugleich sind sie nicht jedermanns Sache, “can seem both grandiose and naïve”[29].

Für Oleszczyk ist der Voice-over “the main poetic device of the movie (…) delivered as if by a collective consciousness of the fighting American soldiers”[30]. Walsh hingegen findet, „viele Dialoge und Teile des Kommentars [hören sich] gestelzt und gekünstelt an“, es würden große Themen diskutiert, „aber sie verbleiben häufig unverdaut im Körper des Films“[31]. Streamas weist den Gedanken durchaus eine Authentizität zu [32], letztlich sind sie aber Malicks Meditationen – als übergeordnetes Sein und die Soldatenfiguren als Seiende. In der Folge ist Malicks Werk “a more intellectually challenging, thought-provoking and questioning film than Saving Private Ryan” oder andere Genrefilme [33].


Malick erzählt aber nicht nur von philosophischen Gedankenspielen, den Kern des Films bildet das rund einstündige Stürmen des für die Schlacht entscheidenden Hill 210. “A combat episode that aims not to provide consequence-free thrills but to give a sense of the unknownability, openendedness of battle”[34]. Die Japaner werden von Malick als unsichtbares Gegenüber eingeführt, sie sind nirgends zu sehen und könnten doch allgegenwärtig sein. Tall ordert die Übernahme des Hügels an, der sich Staros in einer entscheidenden Szene widersetzt, weil sie wie ein Suizidkommando erscheint und hierbei zugleich Erinnerungen an Sergio Leones Il buono, il brutto e il cattivo und jene Brückenszene hervorruft [35].

Zuvor schon betete Staros, wie Jesus im Garten Gethsemane, zu Gott: “Let me not betray me men.” Tall hingegen hinterfragt, ob sein Captain bereit sei, überhaupt das Leben eines seiner Männer zu opfern für den Gewinn der Schlacht. Es ist keine Zeit für Heldentaten, auch wenn diese nicht ausbleiben. Gleichzeitig ist jede Heldentat auch mit dem Wahnsinn der Gegenwart verbunden. Beispielsweise als Keck (Woody Harrelson) fälschlicherweise eine Granate zündet und zwar seine Kameraden rettet, dies jedoch mit dem Leben bezahlt. “A regrettable episode in a seemingly unending procession of regrettable episodes”, findet Streamas [36]. Und ergänzt: “Malick suggests (..) that all violence is equally regrettable.”[37]

Als Welsh sein Leben riskiert, damit der tödlich verletzte Tella (Kirk Acevedo) mit Morphium versorgt werden kann, will Staros ihn für eine Medaille vorschlagen. Sehr zum Missfallen von Welsh. “In a situation like that, all a man can do is shut his eyes and let nothing touch him. Look out for himself”, hatte der Sergeant zuvor noch Witt erklärt. “There’s nothing you can do for anybody else. What difference you think you can make? One single man in all this madness.” Und dennoch zeugt die Tella-Szene vom Gegenteil dessen, was Welsh Witt erklärt. Genauso wie seine Gespräche mit ihm. “I might be the best friend you ever had”, sagt Welsh eingangs zu Witt als er aufgelesen wird. “You don’t even know it.”


Mit dem Hügelsturm werden auch die Japaner zur körperlichen Präsenz – und zum Opfer. Ihre Darstellung ist tragisch und für Murauer werden hier Feinbilder „radikal zertrümmert – und nicht wie bei Spielberg zementiert“[38]. “Are you righteous? Kind?”, fragt ein japanischer Voice-over. “Know that I was too.” Als der Hill 210 eingenommen ist, steht eine Attacke auf das japanische Lager an. Im Wissen, was folgt, kann sich Witt der Tränen nicht erwehren. Die musikalische Untermalung der Attacke allein suggeriert, dass man dem Ende der Menschheit beiwohnt. Malicks Film wirkt nun wie ein Ort “where sanity and madness occupy the same continuum”[39], wie eine Welt “on the verge of total insanity”[40].

Ein Wahnsinn, der letztlich auch jene befällt, die glaubten, gegen ihn immun zu sein. Dies schließt Dale (Arie Verveen) ebenso mit ein wie die einheimische Bevölkerung, deren harmonisches Miteinander den Film als solchen einleitet. Malick inszeniert sie als paradiesischen Ur-Zustand, eine Art Garten Eden, “a haunting remembrance of some distant, more perfect world”[41]. Für Streamas jedoch gelingt es dem Regisseur nicht ganz “to create an indigenous history out of the colonist’s mythmaking”[42]. Als Witt nach dem Hügelsturm zurückkehrt in das Dorf der nahe gelegenen Insel, hat auch dort der Wahnsinn Einzug erhalten, ging die Harmonie verloren. Vielleicht wegen der Anwesenheit des Krieges.

Statt an der Schönheit der Natur zu partizipieren, haben Amerikaner wie Japaner ihren Hass ins Paradies getragen. Für Witt gibt es somit keinen Rückzugsort mehr, wirklichen Frieden kann die Figur in dieser Welt nicht mehr finden. Erst als sie stirbt, sehen wir sie erneut im Wasser ihr Glück genießen. Malicks späteres Schlussbild wird eine Pflanze sein, die am Strand ihre Wurzeln im Sand schlägt. Ein symbolisches Bild für Witts Integration ins Sein, in das größere Kollektiv. “Only one thing a man can do. Find something that’s his, make an island for himself”, realisiert auch Welsh zum Schluss angesichts Witts Schicksal. “If I never meet you in this life… let me feel the lack”, würdigt er dem gefallenen Kameraden.


Malicks Thema in The Thin Red Line ist „das Sein an sich“ und die „Schönheit der Natur oder die Schrecken des Krieges sind nur Erweiterungen dessen“[43]. Ein weiterer Gegensatz zu Saving Private Ryan, „gerade der Vergleich zeigt die riesige Kluft zwischen der staatstragenden Ideologisierung Spielbergs und der philosophischen Meditation von Malick“, findet Suchsland [44]. Jene Meditation geht dabei nicht nur von den Voice-overn aus, sondern auch von Malicks Bildern. “Opulent nature imagery is his most recognizable cinematic trademark”, weiß Sterritt [45]. Und ebenso zwiespältig wie seine Erzählstimmen, betritt Malick doch beispielsweise für Oehmann „seine Schauplätze wie eine Kathedrale“[46].

Für die einen bietet der Film “glorious wide-screen cinematography”[47] und „Bilder, wie man sie seit 20, 30 Jahren, vielleicht seit Antonioni und dem frühen Nicholas Roeg nicht mehr gesehen hat“[48], für die anderen widmet Malick “too much footage to exotic animals, waving grass, happy natives, or light filtering through trees”[49]. Das Ergebnis sei „große Filmtechnik: als großer Kitsch“ [50]. Malicks Aufarbeitung von Geschichte in Verbindung mit seiner These über das Sein der Menschheit liegt naturgemäß nahe an der Prätention und ist somit angreifbar [51]. Im Kern kann der Film über sein meditatives Erlebnis hinaus aber auch bloß als Kriegsfilm gelesen werden, wenn auch als kein gewöhnlicher.

Spielberg behauptete seiner Zeit, jeder Kriegsfilm sei ein Anti-Kriegsfilm, “to do no more than show realistic images of brutality and violence, of dead and dying soldiers, is not enough to be anti-war”, kanzelt Streamas allerdings dessen Saving Private Ryan ab[52]. Malick will keine historische Geschichte nacherzählen, sondern einen Film über den Krieg und seine Widersinnigkeit erschaffen. Seine “pacifist statements (…) remain abstract, cut off from any historical understanding of the Pacific conflict”[53]. Er erschafft sich seine eigene Realität, “a poetic creation”[54]. In der Summe nimmt Malick dabei „keine Rücksicht auf den üblichen Erzählrhythmus“[55], er erschafft vielmehr (s)einen eigenen.


Für Jackson ist das Ergebnis “a celebration of the art of filmmaking (…) but it is not about the Pacific War”[56]. Was weniger Kritik als Auszeichnung ist. The Thin Red Line erzählt nicht über die Schlacht am Guadalcanal, sondern über den Krieg an sich. Der Film sei “visual thinking”, schreibt Streamas [57]. Malick “places history and myth on the visual level, but only myth abides on the deeper level, where it must stand alone, unfortified by history”[58]. Als Folge gelang Malick “arguably the greatest war film ever made”[59]. Ungeachtet der negierten Wertschätzung mit Filmpreisen – den Goldenen Bären auf der Berlinale ausgenommen – kehrte Malick nach zwei Jahrzehnten eindrucksvoll zurück [60].

In Terrence Malicks Vita wird The Thin Red Line wohl stets eine Sonderstellung einnehmen, als Mittler zwischen seinem Schaffen, als Brücke zwischen Badlands und Days of Heaven sowie jenen Filmen, die danach kommen und in denen der Texaner sich immer stärker von den Zwängen einer Narration zu befreien gedenkt. Insofern ist Malick wohl durchaus, was Furstenau und MacAvoy als “poet-philosopher” bezeichnen [61]: weniger Erzähler als (Vor-)Denker. Die Worte von Bell an einer Stelle umgedeutet waren wir Gefangene und Malick ließ uns frei. Sodass auch der Zuschauer zu Witt werden kann, im Glauben: “I seen another world.” Selbst wenn wir glauben, es sei lediglich in unserer Einbildung gewesen.



Quellenangaben

[1] vgl. Peebles, Stacy: The Other World of War. Terrence Malick’s Adaptation of The Thin Red Line, in: Patterson, Hannah (Hrsg.): The cinema of Terrence Malick. Poetic visions of America, London 2007², S. 152-163, hier S. 153.
[2] ebd., S. 162.
[3] “Critical consensus suggested that Malick was more concerned to explore World War Two as a psycho-dramatic crucible (…) than as a matter of historical record or public remembrance”, s. Flanagan, Martin: ‘Everything a lie’: The critical and commercial reception of Terrence Malick’s The Thin Red Line, in: Patterson, Hannah (Hrsg.): The cinema of Terrence Malick. Poetic visions of America, London 2007², S. 125-140, hier S. 133.
[4] ebd., S. 127.
[5] ebd.
[6] ebd., S. 128.
[7] Saving Private Ryan, so Flanagan, sollte “an event of huge public significance” darstellen, “a chance to remember and pay tribute”. The Thin Red Line hingegen wäre mehr “a cineaste’s dream, an aesthetic event”, Flanagan, S. 130.
[8] Streamas, John: The Greatest Generation Steps Over The Thin Red Line, in: Patterson, Hannah (Hrsg.): The cinema of Terrence Malick. Poetic visions of America, London 2007², S. 141-151, hier S. 142.
[9] ebd., S. 147.
[10] Kronenmeyer, Nadja: Der schmale Grat, in: Klein, Thomas et al. (Hrsg.): Filmgenres. Kriegsfilm, Stuttgart 2006, S. 336-345, hier S. 336f.
[11] Suchsland, Rüdiger: Die Farbe des Krieges. Terrence Malicks Meisterwerk, in: Arteschock, http://www.artechock.de/film/text/kritik/s/scgrat.htm.
[12] vgl. Flanagan, S. 132.
[13] Streamas argumentiert beispielsweise damit, dass “Americans have been conditioned to want to believe in the Good War”, Streamas, S. 147.
 [14] Kronenmeyer, S. 337.
[15] Emerson, Ralph Waldo: Nature (1836), in: Ders.: Nature and Other Essays, Mineola, S. 1-34, hier S. 2.
[16] ebd., S. 3. Siehe auch seine weiteren Ausführungen: “In the wilderness, I find something more dear and connate than in streets or villages. In the tranquil landscape, and especially in the distant line of the horizon, man beholds somewhat as beautiful as his own nature”, Emerson, S. 4.
[17] “Property. Whole fuckin’ thing’s about property”, echauffiert sich Welsh.
[18] Kronenmeyer, S. 338.
[19] Flanagan, S. 129.
[20] vgl. Furstenau, Marc/MacAvoy, Leslie: Terrence Malick’s Heideggerian Cinema. War and the Question of Being in The Thin Red Line, in: Patterson, Hannah (Hrsg.): The cinema of Terrence Malick. Poetic visions of America, London 2007², S. 179-191, hier S. 183: “if beings or entities are all things that are – that is, they all are because they participate in Being.”
[21] Heidegger, Martin: Wozu Dichter?, in: Ders.: Holzwege, Frankfurt am Main 1963, S. 248-295, hier S. 256.
[22] vgl. Emerson (1836), S. 2: “Philosophically considered, the universe is composed of Nature and the Soul. Strictly speaking therefore, all that is separate from us, all which Philosophy distinguishes as the NOT ME, that is, both nature and art, all other men and my own body, must be ranked under this name, NATURE.”
[23] McCracken, Brett: The Thin Red Line, in: The Search, 12.05.2011, http://stillsearching.wordpress.com/2011/05/12/the-thin-red-line/.
[24] vgl. Emerson, Ralph Waldo: Nature (1844), in: Ders.: Nature and Other Essays, Mineola, S. 35-48, hier S. 37: “he who knows what sweets and virtues are in the ground, the waters, the plants, the heavens, and how to come at these enchantments, is the rich and royal man.”
[25] vgl. hierzu auch Murauer, Markus: The Thin Red Line. Terrence Malicks filmisches Meisterwerk über die Grenzerfahrungen der menschlichen Existenz, in: Aurora, http://www.aurora-magazin.at/medien_kultur/murauer_malick_frm.htm (offline): „Witt bleibt bis zum Schluss des Filmes eine Heiligenfigur. Er ist jene Lichtgestalt in der dunklen Welt des Tötens, die einen letzten Glauben an das Gute verkörpert.“ 
[26] siehe hierzu auch McCracken: “Where others in that film succumb to desperation or nihilistic ambivalence, Witt sees sparks of a heavenly glory.”
 [27] vgl. Peebles, S. 156: “While much of the story’s plot and dialogue is drawn from the novel, all of the extensive voice-over is Malick’s own addition.”
[28] vgl. Silberman, Robert: Terrence Malick, Landscape and ’What is this war in the heart of nature?’, in: Patterson, Hannah (Hrsg.): The cinema of Terrence Malick. Poetic visions of America, London 2007², S. 164-178, hier S. 166: “the voice-overs are not in the second draft of the screenplay.”
[29] ebd.
[30] Oleszczyk, Michal: Mapping Out the Line, in: Chicago Sun-Times Blog, 18.07.2012, http://blogs.suntimes.com/foreignc/2012/07/mapping-out-the-line.html.
[31] Walsh, David: Ein entsetzlicher Kriegszustand. "Der schmale Grat" von Terrence Malick nach dem Roman von James Jones, in: World Socialist Website, 25.2.1999, https://www.wsws.org/de/articles/1999/02/grat-f25.html.
[32] “But these are questions that, when the war is over and the victory is celebrated, are swept into the farthest recesses of memory”, Streamas, S. 143.
[33] McCrisken, Trevor B./Pepper, Andrew: American History and Contemporary Hollywood Film, Edinburgh 2005, S. 122.
[34] Flanagan, S. 136.
[35] In betreffender Szene wird eine Brücke zweimal täglich angegriffen, sie muss jedoch intakt bleiben. “I’ve never seen so many men wasted so badly”, kommentiert Blondie (Clint Eastwood).
[36] Streamas, S. 147.
[37] ebd.
[38] Murauer, Internet.
[39] Boggs, Carl/Pollard, Tom: The Hollywood War Machine. U.S. Militarism and Popular Culture, London 2007, S. 141.
[40] ebd., S. 142.
[41] McCracken, Internet.
[42] Streamas, S. 149.
[43] Glogowski, Paul Glogowski: Der Schmale Grat (The Thin Red Line). Terrence Malicks pantheistischer Blick in die Welt, in: Ikonen Magazin, http://www.ikonenmagazin.de/artikel/Malick.htm.
[44] Suchsland, Internet.
[45] Sterritt, David: This Side of Paradise, in: The Thin Red Line, Criterion Collection, S. 8-17, hier S. 10.
[46] Oehmann, Richard: Kirchgang. Terrence Malicks Verfilmung des »Why«-Plakats, in: Arteschock, http://www.artechock.de/film/text/kritik/s/scgrat.htm.
[47] Oleszczyk, Internet.
[48] Suchsland, Internet.
[49] Jackson, Kenneth: The Thin Red Line: Not Enough History, in: American Historical Association, April 1999, http://www.historians.org/publications-and-directories/perspectives-on-history/april-1999/the-thin-red-line-not-enough-history.
[50] Assheuer, Thomas: Hollywood im Krieg, in: Zeit Online, 25.3.1999, http://www.zeit.de/1999/13/199913.oscar_.xml.
[51] „Das ängstliche Geistwesen Mensch, dem Weltmutterschoß entkommen, durch Zivilisation erblindet, muß sein Schicksal in ewig gleichen Bahnen wiederholen“, resümiert beispielsweise Assheuer das Filmthema (Assheuer, Internet).
[52] Streamas, S. 150.
[53] Boggs/Pollard, S. 140.
[54] Furstenau/MacAvoy, S. 189.
[55] Oehmann, Internet.
[56] Jackson, Internet.
[57] Streamas, S. 150.
[58] ebd.
[59] Sterritt, S. 8.
[60] Laut Flanagan “questions were asked about how Malick would fit into the new topography of American film” (Flanagan, S. 126). Auch Sterritt erwähnt, “Hollywood had gone through drastic changes while he walked the earth for twenty years, and the new corporate chiefs preferred market-friendly blockbusters to offbeat art pictures” (Sterritt, S. 8). Derweil betonen Furstenau und MacAvoy “Malick’s films are often judged to be perversely obscure, a positive quality from Hollywood’s point of view, which values obscurity as an indicator of artistic seriousness” (Furstenau/MacAvoy, S. 180).
[61] Furstenau/MacAvoy, S. 182.


Szenenbilder “The Thin Red Line”© 20th Century Fox. All Rights Reserved.
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